Nach langem Streit und Haushaltskrise : Der 477-Milliarden-Euro-Kompromiss
Mit Verspätung hat die Ampel den Haushalt 2024 durch Bundestag und Bundesrat gebracht. Der Bund soll in diesem Jahr 477 Milliarden Euro ausgeben dürfen.
Der Bund kann bald wieder aus dem Vollen schöpfen. Am Freitag beschloss der Bundestag den Haushalt für das laufende Jahr. Am frühen Nachmittag passierte der Etat auch den Bundesrat. Damit endet die Zeit der vorläufigen Haushaltsführung 2024 und der damit verbundenen Einschränkung von Ausgaben.
Mit Nachdruck verteidigte Finanzminister Christian Lindner (FDP) in dieser Woche den Etat 2024 als "Gestaltungshaushalt".
Allerdings streute die Länderkammer der Ampel noch etwas Sand ins Getriebe: Das ebenfalls im Bundestag verabschiedete zweite Haushaltsfinanzierungsgesetz schaffte es nicht auf die Tagesordnung des Bundesrats. Der Entwurf enthält gesetzliche Anpassungen, um härtete Sanktionen beim Bürgergeld bei "Totalverweigerern" umzusetzen. Auch die Erhöhung der Luftverkehrssteuer sowie die Kürzung des Zuschusses an den Rentenversicherung wird damit geregelt.
Vor allem findet sich in dem Entwurf aber die umstrittenen Kürzung bei den Subventionen für Agrardiesel. Die Unions-geführten Länder sehen die Koalition in der Pflicht, weiter auf die Bauern zuzugehen, und sperrten sich deshalb gegen die Aufsetzung des Gesetzes am Freitag. Die nächste reguläre Sitzung des Bundesrates ist am 22. März. Zustimmungspflichtig ist der Entwurf nicht, die Union hat ohne Unterstützung von Ampel-Parteien auch keine Mehrheit, einen Einspruch einzulegen.
Keine Zustimmung der Opposition zum Haushalt 2024
Für den im Vergleich zum ursprünglichen Regierungsentwurf umfassend geänderten Haushaltsentwurf mit einem Volumen von rund 477 Milliarden Euro stimmten am Freitagmittag die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Auch das Haushaltsfinanzierungsgesetz fand, ebenfalls in geänderter Fassung, die notwendige Mehrheit. CDU/CSU, AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten - darunter die Mitglieder der ehemaligen Fraktion Die Linke - lehnten beide Vorlagen ab.
Der Bundeshaushalt 2024
➕ ➖ Höhere Ausgaben als in 2023: In diesem Jahr darf der Bund 476,81 Milliarden Euro ausgaben. Das sind 16 Milliarden Euro mehr als 2023.
📈 📉 Schuldenbremse hält: Die Nettokreditaufnahme ist auf 39,03 Milliarden Euro taxiert. Das liegt genau im Rahmen der Schuldenobergrenze des Grundgesetzes.
📝 📑 Starke Veränderungen: Gegenüber dem Regierungsentwurf für 2024 fallen die Ausgaben um 31,12 Milliarden Euro und die Nettokreditaufnahme um 22,47 Milliarden Euro höher aus.
📅 ⏲ Viel Zeit beansprucht: Mehr als 68 Stunden dauerten die Beratungen im Haushaltsausschuss, 1.438 Änderungsanträge zum Etat wurden abgestimmt, 566 davon wurden angenommen.
Vor der finalen Abstimmung hatten sich Koalition und Opposition während der ganzen Woche teils scharfe Debatten über den Etat geliefert . Haushaltspolitische Grundsatzfragen standen direkt zu Beginn und zum Abschluss auf dem Programm. Die Haushaltsexpertinnen und -experten der Koalitionsfraktionen standen dabei vor der größeren Herausforderung, mussten sie doch einen Etat verteidigen, über den innerhalb der Bundesregierung lange gestritten worden war - und der nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im November noch einmal kräftig überarbeitet werden musste. Auch letzteres lief nicht geräuschlos ab.
Koalitionäre loben die Tugend der Kompromissfindung
Doch die Koalitionäre machten aus der Not eine Tugend. "Zur parlamentarischen Demokratie gehört auch der Kompromiss, und um diesen Kompromiss haben wir gerungen", sagte der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dennis Rohde, in der Debatte am Dienstag. Ganz ähnlich äußerte sich Sven-Christian Kindler, der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Die Suche nach dem Kompromiss sei das "Wesen der Demokratie". Weil man tage- und nächtelange verhandelt, "schwere Steine aus dem Weg" geräumt und miteinander gerungen habe, sei man zu "guten, sinnvollen Lösungen gekommen".
Auch eine gewisse Reumütigkeit war den Koalitionären anzumerken. Das Urteil aus Karlsruhe "hat uns kalt erwischt", gab Kindler zu. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Otto Fricke, sekundierte. "Da mögen im Vorfeld Fehler gemacht worden sein", sagte der Liberale.
SPD-Haushälter Rohde: Nicht bei den "Schwächsten der Gesellschaft" sparen
Mit dem Ergebnis aber zeigten sich die Koalitionäre zufrieden. Rohde sprach von einem "guten Haushalt für dieses Land". Der Sozialdemokrat hob - unter dem Eindruck der Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus und AfD - auf Mittel im Haushalt zur Verteidigung der Demokratie gegen Angriffe von außen und von innen ab. Dazu zählte Rohde unter anderem die fortgesetzte Unterstützung für die Ukraine in Milliardenhöhe, aber auch Mittel, um Antisemitismus in Deutschland zu bekämpfen und jüdisches Leben sichtbarer zu machen. Das "beste Bollwerk gegen die Demokratiefeinde in unserem Land" sei der Sozialstaat, sagte der Abgeordnete. Auch nach dem Urteil aus Karlsruhe sei es daher die Maxime gewesen, dass nicht bei den "Schwächsten der Gesellschaft" gespart werden dürfe.
Ähnliches betonte Kindler. In "unsicheren Zeiten" sei es trotzdem gelungen, "soziale Sicherheit zu garantieren", sagte der Grünen-Abgeordnete. Mit Blick auf die durch das Karlsruher Urteil entfallenen 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds sprach Kindler von "schmerzhaften Einschnitten" in der Planung. Im Verfahren sei es aber gelungen, 30 Milliarden Euro davon zu retten. "Wir haben in diesem Haushalt sehr viele Investitionen für Klimaschutz, für die Transformation der Wirtschaft, für gute Arbeitsplätze gesichert", so Kindler.
Der FDP-Abgeordnete Fricke hob ebenfalls Investitionen auf "Rekordniveau" hervor. Die Sozialleistungen würden stabil gehalten, die Steuerquote sinken, der Personalaufwuchs gestoppt und Sondervermögen abgebaut, führte der Liberale stakkatoartig aus. Zudem attackierten die Koalitionäre die Union scharf. Diese hatte zu den Bereinigungssitzungen keine Änderungsanträge zum Etat vorgelegt. Das sei "im Kern Arbeitsverweigerung", kritisierte Kindler.
Union wirft Koalition Trickerseien und mangelnden Sparwillen vor
Die Union hielt allerdings hart dagegen. Der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion, Christian Haase, warf der Koalition vor, "jedes erdenkliche Schlupfloch" ausgereizt zu haben, um im Bundeshaushalt 2024 nicht sparen zu müssen. So verwies der Christdemokrat darauf, dass noch mit dem Mitte Dezember verabschiedeten Nachtragshaushalt 2023 eine Notlage erklärt worden sei, um die Schuldenbremse auszusetzen. 14 Tage später habe sich herausgestellt, dass es einen Überschuss von 6,3 Milliarden Euro gebe. "Also entweder stümpern Sie weiter vor sich hin, oder Sie wollen das Land für dumm verkaufen. Diese Schuldenaufnahme war in dem Umfang nicht nötig", so Haase.
Sein Fraktionskollege Mathias Middelberg warf der Koalition vor, von einem "Sparhaushalt" zu sprechen, aber gar nicht gespart zu haben. Der Blick auf die Zahlen sei "sehr ernüchternd". Der Vize-Fraktionschef der Union führte aus, dass im Vergleich zum Haushalt 2019 - dem letzten Haushalt vor der Corona-Krise - die Ausgaben nun um 120 Milliarden Euro beziehungsweise 35 Prozent gestiegen seien. Im selben Zeitraum sei die Wirtschaftsleistung um gerade 18,6 Prozent gestiegen, so der Christdemokrat. Es werde mehr ausgegeben, als das Land erwirtschafte. "Wir leben massiv über unsere Verhältnisse. Ihr Haushalt ist weit von einer Sparanstrengung oder einem Sparhaushalt entfernt", kritisierte Middelberg.
Den Verweis auf Krisen wollte Middelberg als Ausrede nicht gelten lassen. Viele dieser Krise habe die Koalition selbst geschaffen, etwa die Haushaltskrise nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Zweiten Nachtragshaushalt 2021. Infolge der dadurch entstandenen Verunsicherung bei Investoren und Verbrauchern habe die Ampel "massiv" dazu beigetragen, "dass wir wirtschaftlich in einem Schrumpfungsprozess sind", sagte der Abgeordnete mit Verweis auf die aktuellen Konjunkturprognosen. Andere Länder wie China, die USA oder die Eurozone würden hingegen wachsen. Der Christdemokrat kritisierte, dass die Koalition auf Steuererhöhungen setze, etwa bei der Luftverkehrssteuer oder dem Auslaufenlassen der Mehrwertsteuerabsenkung für die Gastronomie. Das sei "wachstumsschädlicher Unsinn".
Finanzminister Lindner spricht von einem "Gestaltungshaushalt"
Für die Bundesregierung wies Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Middelbergs Diktum eines "Sparhaushalts" zurück. Er spreche von einem "Gestaltungshaushalt", sagte der Minister. Der Liberale verwies auf die gestiegene Investitionsquote im Vergleich zum Haushalt 2019 und die zusätzlichen Investitionen aus dem Klima- und Transformationsfonds. "Wir investieren in Schiene, Straße und digitale Netze auf Rekordniveau."
Auch für die inzwischen als Generationenkapital bezeichnete Aktienrente seien Mittel in dem Haushalt eingestellt worden, ebenso für das Startchancen-Programm für Brennpunktschulen. Zwar würden krisenbedingte Maßnahmen, die Absenkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie sowie der angepasste Pfad beim CO2-Preis, auslaufen, die Bürgerinnen und Bürger aber um 15 Milliarden Euro bei der Lohn- und Einkommensteuer entlastet. Das produzierende Gewerbe profitiere von der Reduzierung der Stromsteuer, führte der Finanzminister weiter aus und verwies zudem darauf, dass die Schuldenquote sinke. Lindner hob ferner hervor, dass sich der Haushalt auch im Rahmen der Schuldenbremse bewege. Das sei nicht nur ein Gebot der Verfassung, sondern angesichts der Zinskosten - Lindner bezifferte sie auf 36 Milliarden Euro - ein Gebot der "wirtschaftlichen Vernunft".
AfD-Fraktion hält Haushalt 2024 für verfassungswidrig
Ganz grundsätzliche Bedenken am Haushalt meldete die AfD-Fraktion an: Sie bezweifelte die Verfassungsmäßigkeit des Etats. Ein Entschließungsantrag der Fraktion, gegen das Haushaltsgesetz beim Bundesverfassungsgericht vorzugehen, fand am Freitag aber keine Mehrheit. Die Fraktion allein hat nicht genug Abgeordnete, um nach Karlsruhe zu ziehen.
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Der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion, Peter Boehringer, führte bereits in der Debatte am Dienstag an, dass die im Etat ausgewiesene Neuverschuldung von 39 Milliarden Euro nur ein "Drittel der Wahrheit" sei. Tatsächlich kämen noch die Schuldenaufnahme in den Sondervermögen sowie aus der Entnahme aus der Rücklage hinzu sowie aus EU-Zuweisungen. Schon die Kreditaufnahme im Klima- und Transformationsfonds in Höhe von 28 Milliarden Euro sei "eindeutig urteils- und damit verfassungswidrig", sagte Boehringer mit Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Zweiten Nachtragshaushalt 2021. Der Abgeordnete führte an, dass seine Fraktion Vorschläge unterbreitet habe, wie man 100 Milliarden Euro hätte einsparen können. Damit habe seine Fraktion als einzige einen "verfassungskonformen Haushalt" vorgelegt.
Union und AfD hatten zur Schlussabstimmung etliche Entschließungs- und Änderungsanträge eingebracht. Keine der Vorlagen fand eine Mehrheit.