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Showdown im Ausschuss : "Die Hütte brannte lichterloh"

Scholz und Habeck versichern die ergebnisoffene Prüfung einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke. Für die Opposition ist der Beweis der Täuschung erbracht.

17.01.2025
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6 Min

Ob die von den Grünen geführten Ministerien für Umwelt und Wirtschaft bei der Frage des möglichen Weiterbetriebs der letzten drei deutschen Atomkraftwerke über das Jahresende 2022 hinaus ergebnisoffen geprüft oder die Öffentlichkeit getäuscht hätten, sollte der 2. Untersuchungsausschuss des Bundestages ermitteln. Für den Vorsitzenden des Gremiums, den CDU-Abgeordneten Stefan Heck, ist die Beweislage jetzt eindeutig: "Wir müssen heute feststellen, dass es diese ergebnisoffene Prüfung nicht gegeben hat." Heck sprach "von einem großangelegten Täuschungsmanöver". Gegen den Rat der Fachebene seien längere Laufzeiten abgelehnt worden.

Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Untersuchungsausschuss zum Atomstieg.

Dem widersprachen die am Mittwoch und Donnerstag vernommenen letzten Zeugen aus der Bundesregierung mit Vehemenz. Kanzler Olaf Scholz (SPD) bewertete das für die Opposition besonders wichtige Beweisstück, einen Vermerk von Umwelt- und Wirtschaftsministerium vom 7. März 2022, in dem eine längere Laufzeit der letzten drei Kernkraftwerke aus Gründen der nuklearen Sicherheit abgelehnt wird, ganz anders. Dass eine Verlängerung gar nicht gehe, stehe nicht drin, so der Kanzler. "Meine Einschätzung war: Da schauen wir noch mal."

Sicherheit der Energieversorgung hatte für Habeck oberste Priorität 

Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wies die Vorwürfe der Opposition zurück. Seine Weisung sei eindeutig gewesen, ergebnisoffen zu prüfen. "Es gab keine Denkverbote", versicherte Habeck. Seine Devise sei gewesen: "Machen, was hilft und was geht." Die sichere Energieversorgung sei für ihn zentral gewesen. "Die Hütte brannte lichterloh", erinnerte Habeck an die Zeit nach Kriegsbeginn. Und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) widersprach Darstellungen, dass ihr Ministerium eine Verlängerung der Laufzeiten von vornherein abgelehnt habe.

Scholz bezeichnete die Verlängerung der gesetzlich begrenzten Laufzeit der letzten drei aktiven deutschen Kernkraftwerke von Ende 2022 auf Mitte April 2023 als "sinnvollste Lösung", um nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges die Versorgung mit Energie sicherzustellen und einer drohenden extremen Verteuerung zu begegnen. Der Kanzler hatte die Verschiebung des Abschaltdatums am 19. Oktober 2022 mit dem seltenen Instrument der Richtlinienkompetenz vorgegeben, weil sich Habeck und der damalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) über das Vorgehen nicht einigen konnten. Die Grünen wollten allenfalls die zwei süddeutschen Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim II über den Jahreswechsel hinaus weiterbetreiben, die Liberalen drängten auch auf Einbeziehung der Anlage Emsland, die Reaktivierung von zwei bereits stillgelegten Anlagen und einen Weiterbetrieb bis über den Winter 2023/2024 hinaus.


„Als der Krieg kam, war klar, dass wir in einer erpressbaren Situation sind - bei einem Gasspeicherstand von 27 Prozent.“
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen)

Scholz berichtete, alte Kraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen, mache gar keinen Sinn. Das komme viel zu teuer und setze langwierige neue Genehmigungsverfahren voraus. Atommeiler als kalte Reserve vorzuhalten (das war zunächst Habecks Vorschlag), sei auch nicht möglich. Sie könnten nicht einfach an- und ausgeknipst werden.

Für Scholz kam, wie er sagte, nur noch in Frage, die Kraftwerke über den bevorstehenden Winter weiterzubetreiben. Dafür reiche noch der Brennstoff, hätten die Betreiber versichert. Die Brennelemente könnten ausgelutscht werden. Scholz hatte die Hoffnung, dass sich bei einem Gespräch mit Habeck und Lindner am 16. Oktober noch eine Einigung erzielen lasse. Doch der grüne und der liberale Minister wollten nicht. Da kündigte er ihnen an, die Angelegenheit mit seiner Richtlinienkompetenz zu regeln, so der Kanzler: "Das muss ich auf meine Kappe nehmen."

Hinsichtlich der Richtlinienentscheidung machten die Vernehmungen unterschiedliche Sichtweisen der Zeugen deutlich. Ein "Streckbetrieb auf Abruf" der Kernkraftwerke für den Winter sei bereits in Vorbereitung gewesen, berichtete Habeck. Eine finale Entscheidung sollte im Dezember getroffen werden. Das Gesetz habe vorgelegen, aber die FDP habe blockiert, weil sie ideologisch auf längere Laufzeiten festgelegt gewesen sei. Diese Blockade sei erst durch die Richtlinienentscheidung des Kanzlers aufgelöst worden. "Ich konnte mit dieser Entscheidung sehr gut leben", sagte Habeck. Lemke betonte, sie habe auch unter dem Aspekt der nuklearen Sicherheit zugestimmt. Sie bezeichnete den gesamten Entscheidungsprozess als völlig transparent.

Kein Problem im Kanzleramt mit der grünen Parteitagslyrik

Lindner hingegen berichtete, Scholz, Habeck und er hätten sich Mitte Oktober darauf geeinigt, die Laufzeit der drei Kernkraftwerke bis in den April hinein zu verlängern. Dass die Emsland-Anlage im Gegensatz zum Willen des grünen Koalitionspartners dabei war, wertete er als Verhandlungserfolg. Zurückgesteckt habe die FDP bei der Laufzeit. Sie habe noch den Winter 2023/2024 mit einbeziehen wollen. Lindner erinnerte an die Bundesversammlung der Grünen vom 14. bis 16. Oktober 2022, wo nur dem Weiterbetrieb von zwei Atomkraftwerken unter Bedingungen zugestimmt worden war. Das Kernkraftwerk Emsland sollte Ende 2022 abgeschaltet werden. Doch Scholz habe sich mit Habeck und ihm auf die Dreierlösung geeinigt, sagte Lindner. Und die habe der Kanzler mit seiner Richtlinienkompetenz am 17. Oktober 2022 dann auch durchgesetzt. Lindner sprach von einem pragmatischen Schritt.

Foto: picture alliance/dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz wurde als letzter Zeuge im Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg befragt. Er verteidigte seine Entscheidung aus dem Herbst 2022.

Im Kanzleramt war der Beschluss der Grünen-Bundesversammlung ohnehin mit Fassung zur Kenntnis genommen worden. Der Text des Antrags sei übliche Parteitagslyrik, schmunzelte Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD). Er sei der Überzeugung, dass die Laufzeitverlängerung richtig war. Und das begleitende Gezerre? Für ihn ein typisches Ampel-Symptom: Beide Koalitionspartner der SPD seien halt in unterschiedliche Richtungen gelaufen.

Nach dem 24. Februar 2022 habe "die Versorgungslage an der Kante" gestanden

Habeck hatte bei seiner Vernehmung die Möglichkeit genutzt, die Lage in Deutschland nach Beginn des Ukraine-Krieges darzustellen. Die bei seinem Amtsantritt als Wirtschaftsminister Ende 2021 vorgefundene starke Abhängigkeit von russischen Energielieferungen habe er als "bedrohlich" empfunden. Für die Lage trage die Vorgängerregierung die Verantwortung. Als der Krieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen habe, sei ihm sofort klar gewesen, "dass die Versorgungslage an der Kante" stehe. "Als der Krieg kam, war klar, dass wir in einer erpressbaren Situation sind - bei einem Gasspeicherstand von 27 Prozent", sagte Habeck. Deutschland sei abhängig und verwundbar gewesen.

Habeck schilderte, dass er unmittelbar nach seinem Amtsantritt eine andere Politik eingeleitet habe. "Ich habe sofort Energiesicherheit in den Mittelpunkt meines Handels gestellt", erklärte er. So seien dank eines von ihm auf den Weg gebrachten Gesetzes die Gasspeicher wieder voll gewesen, als Putin die Gasversorgung abgedreht hatte. Die Versorgungssicherheit sei gewährleistet gewesen.

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Der Untersuchungsausschuss setzte am Mittwoch und Donnerstag seine Arbeit fort. Es ging um die Verfügbarkeit von Brennstoffen und Szenarien zur Energiekrise.

Ein Embargo von russischem Gas, wie das der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gefordert habe, habe er abgelehnt, schilderte Habeck. Eine für diesen Fall drohende Rezession mit Schrumpfung der Wirtschaftsleistung um sechs Prozent und eine Gasmangellage "hätte unser Land nicht ausgehalten." Doch durch "entschlossenes Handeln" habe man die Voraussetzungen für eine sichere Versorgung mit Erdgas geschaffen, denn schließlich habe Putin die Lieferungen gestoppt.

Habeck schilderte, wie sich die Situation im Jahr 2022 mehrfach verändert habe. Die Atomdebatte sei vor dem Hintergrund der Gasversorgung und der leeren Speicher zu sehen. Eine Überlegung sei gewesen, die Atomkraftwerke im Sommer nicht so stark zu nutzen, um sie dafür noch im Winter 2023 zur Verfügung zu haben. Grundlage dieser Überlegung sei gewesen, dass man im Sommer genug Gas gehabt hätte. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Die Füllmenge der Speicher habe nur noch 27 Prozent betragen. "Daher gelangten wir zu der Überzeugung, dass der Streckbetrieb nichts gebracht hätte", erläuterte Habeck.

Grüne haben Streckbetrieb "als insgesamt nicht sinnvoll" erachtet

Eine Verlängerung der Laufzeiten über den Winter hinaus sei zudem negativ beurteilt worden, weil die Betreiber dafür neue Brennstäbe gebraucht hätten, deren Lieferung zwölf bis 15 Monate in Anspruch genommen hätte. Außerdem hätten die Betreiber den Staat für den Weiterbetrieb in Haftung nehmen wollen, was den Staat faktisch zum Betreiber gemacht hätte. Er habe damals zusammen mit Lemke einen Streckbetrieb "als insgesamt nicht sinnvoll" erachtet.

Später hatte sich die Lage nach Darstellung von Habeck geändert: "Es erhöhten sich die Risiken für den Winter Schritt für Schritt". Habeck erinnerte, dass Russland Ende August die Lieferungen komplett gestoppt habe, französische Atomkraftwerke seien ausgefallen. Durch den niedrigen Wasserstand des Rheins habe die Versorgung von Kohlekraftwerken mit Kohle nicht mehr sichergestellt werden können. Ende August habe er begonnen, über eine Einsatzreserve durch die deutschen Kernkraftwerke nachzudenken.