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Foto: picture alliance/imageBROKER/G&M Therin-Weise
Der Kaiserpinguin ist der größte seiner Art. Die Pinguine ernähren sich von Fischen und Krill und finden im Weddellmeer ausreichend Nahrung.

Biologische Schatzkiste : Schutz für die Artenvielfalt im Weddellmeer

Die Meere der Antarktis und ihre Artenvielfalt sollen nachhaltig geschützt werden, aber Russland und China sind an den Fisch- und Krillbeständen interessiert.

09.04.2025
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5 Min

Im Februar 1823 segelte der schottische Robbenjäger James Weddell weiter nach Süden als je ein Mensch zuvor. In der damals unbekannten Ozeanregion jenseits der Falklandinseln stieß die Crew des Zweimasters "Jane" jedoch nicht auf die erhoffte Küste voller Meeressäuger, sondern auf eine scheinbar endlose See voller Eisberge. 

Weiter voraus, so spekulierte Weddell, kommt nur noch unpassierbares Packeis. Und irgendwann der Südpol. Kein Land, keine Küste, keine Robben. Also kehrte er um und munterte seine enttäuschte Mannschaft mit einer festlichen Runde Grog auf - schließlich hatten sie gerade den alten Rekord von James Cook gebrochen: Weiter nach Süden war bis dato noch nie ein Schiff vorgedrungen.

Robbenjäger James Weddell segelte als erster Mensch in das Küstenmeer der Antarktis

Doch Weddell hatte sich geirrt. Denn ohne es zu ahnen, waren er und seine Crew als erste Menschen in das Küstenmeer eines unbekannten Kontinents gesegelt, in das später zu seinen Ehren nach ihm benannte Weddellmeer am Rande Antarktikas.

Heute, 200 Jahre später, ist klar: Das Weddellmeer ist eine der wertvollsten biologischen Schatzkisten der Erde. Und einer der wichtigsten Bausteine bei der Rettung der antarktischen Artenvielfalt.

Das Filchner-Ronne-Schelfeis ist bis zu 1.500 Meter dick

Das Weddellmeer liegt im atlantischen Sektor der Antarktis und wird im Westen von der antarktischen Halbinsel, im Osten durch die Küsten des Königin-Maud-Lands begrenzt. Mit einer Fläche von rund 2,8 Millionen Quadratkilometern ist es etwas größer als das Mittelmeer. Seine größte Tiefe liegt bei 5.300 Metern, die durchschnittliche Tiefe bei 500 Metern. Den südlichen Teil des Weddellmeers bedeckt das bis zu 1.500 Meter dicke Filchner-Ronne-Schelfeis. 

Es ist das volumenreichste Schelfeis weltweit und wird von zahlreichen Gletscherzungen gebildet, die aus dem Inneren der Antarktis ins Meer fließen und auf dem Wasser schwimmen. Weiter nördlich schließt sich bis zu drei Meter dickes Meereis an, das am Ende des Südwinters rund 75 Prozent der übrigen Meeresfläche bedeckt. Im Laufe des kurzen Sommers schmilzt dieses Eis auf etwa ein Drittel zusammen und bildet sich im darauffolgenden Winter neu.

Eine Artenvielfalt wie im Weddellmeer gibt es sonst nur in den Tropen

Der hohe Grad an Eisbedeckung ist der Hauptgrund, warum das Weddellmeer nie im großen Stil befischt wurde und deshalb als eine der letzten weitgehend unberührten Ozeanregionen weltweit gilt. Und die hat es in sich. Mindestens 14.000 Tierarten leben hier, eine enorme Artenvielfalt, die sich sonst so nur in tropischen Korallenriffen findet. Die Grundlage der hochkomplexen Nahrungskette bilden Eisalgen und Bakterien, die wie eine auf dem Kopf stehende Wiese an der Unterseite des Meereises wachsen und dort im Wasser Kleinstlebewesen (Zooplankton) wie Flohkrebse und Krillschwärme ernähren.

Diese werden von Fischen gefressen, die wiederum das Überleben von Königspinguinen, sechs Robbenarten, darunter die Weddellrobbe, und zwölf Walarten (unter anderem Buckelwale, Schwertwale, Blauwale und Antarktische Zwergwale) sichern.

Forschungseisbrecher "Polarstern" ist regelmäßig im Weddellmeer unterwegs

Überdies rieseln tote Algen, Bakterien und Krebse zum Meeresboden und schaffen die Nahrungsgrundlage für meterhohe "Wälder" aus Glasschwämmen, Nesseltieren, Weichkorallen, Seescheiden und vielen anderen Spezies.

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Immer wieder wartet das Weddellmeer mit Überraschungen auf. So stießen Forschende des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) 2021 in den Tiefen der See auf eine gigantische, 240 Quadratkilometer große Kolonie aus 60 Millionen Fischnestern. Unzählige Vertreter der Art "Jonahs Eisfisch" (Neopagetopsis ionah) brüten hier am Meeresboden ihren Laich aus. Das AWI ist seit 1982 regelmäßig mit dem Forschungseisbrecher "Polarstern" im Weddellmeer unterwegs und sammelt Daten. Auch die vom AWI betriebene Forschungsstation Neumayer III liegt auf dem Ekström-Schelfeis an der östlichen Küste des Weddellmeeres.

Meerestiere könnten sich langsam an neue klimatische Verhältnisse anpassen

Durch seine jahrelange Forschungsarbeit hat das Institut eine umfassende Datenbasis geschaffen, die eine klare Botschaft sendet. Während das Meereis in vielen Regionen der Antarktis drastisch zurückgeht, wird das Weddellmeer dank günstiger Meeresströmungen und guter Meereisbedeckung wohl noch für längere Zeit stabile Verhältnisse für kälteliebende Organismen bieten.

Das Randmeer könnte damit zu einem wichtigen Refugium werden: Antarktische Meerestiere, so die Hoffnung, könnten sich hier über Generationen langsam an steigende Wassertemperaturen anpassen - und so den Klimawandel überleben. Deshalb gibt es seit Jahren internationale Bemühungen, das Weddellmeer unter Schutz zu stellen.

Der Antarktisvertrag regelt die friedliche und schonende Nutzung der Antarktis

Bereits 1959 haben zahlreiche Staaten den Antarktisvertrag verabschiedet. Dieser legt fest, dass der Südkontinent und seine Meeresgebiete ausschließlich friedlich und ressourcenschonend genutzt und erforscht werden sollen. 1982 wurde zusätzlich das "Übereinkommen über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis" (Convention on the Conservation of Antarctic Marine Living Resources - CCAMLR) verabschiedet, das unter anderem festlegt, wie viel Fisch und Krill in antarktischen Gewässern gefangen werden darf. 2012 kündigte Deutschland an, im Rahmen von CCAMLR einen Vorschlag für die Einrichtung eines Weddellmeer-Schutzgebietes zu erarbeiten. Im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft entwickelte das AWI ein wissenschaftlich fundiertes Schutzkonzept.

Was ist das Weddellmeer?

🚢 Benannt ist das Weddellmeer nach dem britischen Robbenfänger James Weddell (1787-1834), der das Meer in der Antarktis 1823 entdeckt hat.

🌊 Das Weddellmeer umfasst eine Fläche von 2,8 Millionen Quadratkilometern und ist teils mehr als 5.000 Meter tief.

🐧 Das Weddellmeer ist meist zugefroren und weitgehend unberührt. Auf dem Grund des Meeres leben etwa 14.000 Tierarten. Es ist damit so artenreich wie Korallenriffe in den Tropen.



Im Jahr 2016 reichte die Europäische Union schließlich den ersten Vorschlag ein, der zunächst den größeren westlichen, später dann auch den östlichen Teil des Weddellmeers unter Schutz stellen soll. Allein der westliche Teil wäre mit einer Fläche von 2,2 Millionen Quadratkilometern sechsmal so groß wie Deutschland und damit das mit Abstand größte Meeresschutzgebiet weltweit. 

China und Russland blockieren den Schutzstatus

Damit der CCAMLR-Antrag erfolgreich ist, müssen alle 26 Vertragsstaaten und die EU zustimmen. Trotz intensiver Verhandlungen seit 2016 scheiterte ein einstimmiges positives Votum bislang am Widerstand zweier Regierungen: China und Russland. Beide Staaten sind an einer kommerziellen Ausbeutung der enormen Fisch- und Krillbestände im Weddellmeer interessiert.

Der aktuelle Vorschlag ließe jedoch nur eine streng regulierte Fischerei in einem kleinen Teilgebiet zu. Die Zukunft der 1823 von James Weddell entdeckten biologischen Schatzkiste in der Antarktis bleibt damit vorerst ungewiss. 

Der Autor ist freier Wissenschaftsjournalist.

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