
Ausschuss legt Schlussbericht vor : Wer trägt Schuld am Chaos im Sommer 2021?
Der Untersuchungsausschuss Afghanistan hat seinen Bericht vorgelegt. Dass der Bundeswehreinsatz 2021 so chaotisch endete, führt er auf mangelnde Abstimmung zurück.
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss des im Dezember aufgelösten Bundestages hat am 18. Februar seinen Abschlussbericht an Vizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) übergeben. Auf mehr 1.400 Seiten gibt das elfköpfige Gremium unter Leitung von Ralph Stegner (SPD) einen detaillierten Einblick in seine Arbeit und die gewonnenen Erkenntnisse seit der Konstituierung im Sommer 2022. In „Fraktionsvoten“ geben die Fraktionen am Ende jeweils eigene Stellungnahmen zu den Ergebnissen ab. Dabei fällt auf, dass die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ähnliche Schlüsse ziehen und sich nur im Detail voneinander unterscheiden. Die AfD übt hingegen fundamentale Kritik am Afghanistan-Einsatz – und erhebt auch gegen den Ausschuss selbst Vorwürfe.
Mehr als hundert Zeugen wurden befragt
Die Abgeordneten hatten in insgesamt 98 Sitzungen mehr als hundert Zeugen befragt und Hunderttausende Dokumente ausgewertet. Die Linksfraktion war zunächst auch dabei, musste das aber Gremium verlassen, nachdem sie durch die BSW-Abspaltung ihren Fraktionsstatus verloren hatte. Auftrag war es, die Ereignisse in der Zeit zwischen dem Doha-Abkommen, mit dem die USA Ende Februar 2020 den Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan mit den Taliban vereinbart hatten, und der chaotisch verlaufenen Evakuierungsoperation am Flughafen Kabul im August 2021 aufzuklären.
„Trotz der verkürzten Legislaturperiode hat der Afghanistan-Untersuchungsausschuss ganze Arbeit geleistet.“
SPD, Union, Grüne und Liberale schlussfolgern mit Blick auf das Doha-Abkommen, die Bundesregierung habe keinen Einfluss auf diese Verhandlungen gehabt. Ihr sei bewusst gewesen, schreibt etwa die SPD-Fraktion, dass „die Festlegung eines unkonditionierten Zeitpunkts für den Truppenabzug ohne nennenswerte Gegenleistung“ die Taliban legitimiert und diese „zu einer 'Regierung im Wartestand'“ gemacht habe. Versuche von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und des Auswärtigen Amtes, das Abkommen nachträglich mit Bedingungen zu verknüpfen, bewerten die Fraktionen als einen guten Versuch, der aber nur auf Hoffnungen basiert und keine Ergebnisse gebracht habe. Dadurch hätten sich die Planungen für den Rückzug und das Erstellen eines „Worst-Case-Szenarios“ verzögert.
Man dürfe in der Zukunft „den richtigen Zeitpunkt für die Vorbereitung des Krisenfalls nicht verpassen“, schreibt die CDU/CSU-Fraktion. Die FDP-Fraktion kritisiert Merkel: „Die Kanzlerin und das Kanzleramt haben im gesamten Betrachtungszeitraum wenig bis keine ordnende Rolle innerhalb des Ressortkreises übernommen.“ Die Grünen-Fraktion geht noch einen Schritt weiter. Die politischen Leitungsebenen hätten sich „erschreckend wenig, zu wenig, für die Entwicklungen in Afghanistan interessiert“. Dennoch stellen alle vier Fraktionen fest, dass der Abzug der Bundeswehr reibungslos verlief, auch wenn die Grünen eine Gefährdung der Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten durch Zeitverlust sehen.
Welche Rolle spielte der BND?
Dass eine gemeinsame Lageanalyse der Bundesregierung gefehlt habe, führt die SPD-Fraktion vor allem auf den Bundesnachrichtendienst (BND) zurück. Er habe die Geschwindigkeit der Entwicklung unterschätzt. Hier halten Union und FDP dagegen. Der BND habe das Ende des Einsatzes schon 2020 vorausgesagt, jedoch habe in den verantwortlichen Staatssekretärsrunden „eine Lagebildkonsolidierung oder Handlungskoordinierung … kaum stattgefunden“. Die CDU/CSU-Fraktion sieht hier das damals SPD-geführte Auswärtige Amt in der Verantwortung. Damit sich das nicht wiederholt, schlagen Union und FDP die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats vor. Die SPD spricht sich hingegen für ein ressortübergreifendes Lagezentrum aus.
Die AfD-Fraktion resümiert, dass Deutschland „vom Anfang bis Ende auf die Entscheidungen der USA reagiert“ und sich damit „den Weg zu souveränen Entscheidungen und zur Wahrnehmung eigener nationalen Interessen“ versperrt habe. Das sogenannte Ortskräfteverfahren für - nach der Machtübernahme der Taliban oft besonders gefährdete - lokale Mitarbeiter deutscher Behörden und Organisationen, nennt sie eine „Migrationsmaßnahme“. Dadurch seien für den deutschen Staat „erhebliche finanzielle Folgebelastungen entstanden“. Den übrigen Fraktionen wirft die AfD vor, keinen „wirklichen Willen zur Aufklärung des Fiaskos am Hindukusch“ gezeigt zu haben. Der Ausschussvorsitzenden Ralf Stegner habe sich „im Verlauf der Ausschussarbeit immer mehr zum Hemmschuh für die so wichtige Aufklärungsarbeit“ entwickelt. Dadurch sei die AfD an ihrer Befragung der Zeugen gehindert worden.
Özoğuz: Verhandlungen müssen mit Partnern gemeinsam geführt werden
Aydan Özoğuz hob bei der Übergabe des Berichts die Ergebnisse der Arbeit des Ausschusses hervor. „Trotz der verkürzten Legislaturperiode hat der Afghanistan-Untersuchungsausschuss ganze Arbeit geleistet“, sagte die Bundestagsvizepräsidentin. Es hätten sich wichtige gemeinsame Erkenntnisse ergeben: Verhandlungen über Einsatz und Abzug müssten mit allen internationalen Partnern gemeinsam geführt werden und Einzelinteressen von wenigen dürften nicht im Vordergrund stehen. Bei der sich im Sommer 2021 verschärfenden Krise in Afghanistan habe nicht nur bei der Bundesregierung eine gemeinsame Lageanalyse gefehlt, sondern auch beim US-Partner. Die ressortübergreifende Zusammenarbeit habe nur an wenigen Stellen gut funktioniert und werde für künftige Missionen eine wichtige Aufgabe sein.
Schon die ebenfalls vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan“, die für die künftige Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik Schlüsse aus dem 20-jährigen deutschen Engagement in Afghanistan ziehen sollte und deren Abschlussbericht bereits seit Ende Januar vorliegt, hatte grundsätzliche Geburtsfehler der Mission offengelegt. Der lesenswerte, flüssig zu lesende Bericht des Untersuchungsausschusses zeigt nun, dass es auch in der Endphase des Einsatzes zu gravierenden Fehleinschätzungen, Alleingängen und Versäumnissen gekommen ist.
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