Nach der umstrittenen Wahl : Boykott im Parlament
Ohne Opposition und begleitet von Protesten hat sich Georgiens Parlament konstituiert. Verfassungsrechtler sehen darin einen "illegalen" Vorgang.
Als das georgische Parlament am Montag zur Konstituierung zusammentrat, blieben im Plenum 61 der 150 Sitze leer. Es sind die Sitze der Opposition, die zwar in vielem zerstritten ist, aber in einer Sache geeint: Sie erkennt die Parlamentswahlen vom 26. Oktober nicht an, bei den nach offiziellem Ergebnis die prorussische Regierungspartei „Georgischer Traum“ 53,9 Prozent der Stimmen erhalten hat. Deshalb blieben die Vertreter der Opposition der konstituierenden Sitzung geschlossen fern.
„Die Opposition wird das Parlament nicht betreten“, sagt Giorgi Butikashwili vom Oppositionsbündnis „Koalition für den Wandel“, das nach offiziellen Angaben bei der Wahl 19 Prozent der Stimmen erhielt. Auch Staatspräsidentin Salome Surabischwili, die eigentlich der ersten Parlamentssitzung einer Legislaturperiode hätte vorsitzen sollen, blieb fern, ebenso die sonst immer anwesenden Botschafter anderer Staaten.
Staatspräsidentin Salome Surabischwili, hier am 26. Oktober auf dem Weg zu einem Wahllokal in Tiflis, klagt vor dem Verfassungsgericht gegen das Ergebnis der Parlamentswahlen.
So saßen die Abgeordneten der prorussischen Regierungspartei „Georgischer Traum“ allein im Plenum, während vor dem Parlament Demonstranten weiter gegen das Wahlergebnis demonstrierten. Lediglich der Ombudsmann war zur Sitzung erschienen. Er wird traditionell von der Opposition nominiert und von der Mehrheit bestätigt. Als er die Konstituierung des Parlaments als rechtmäßig bezeichnete, stellten sich 34 Mitarbeiter seiner Behörde öffentlich gegen ihn.
Konstituierung trotz laufender Klagen
Dass die Parlamentswahl gefälscht wurde, haben diverse unabhängige Beobachter und auch ein Bezirksgericht festgestellt. Zurzeit laufen mehrere Verfassungsklagen gegen die Abstimmung, eingereicht unter anderem von der Staatspräsidentin. Dass sich das Parlament trotzdem bereits konstituiert hat, bezeichnet der Verfassungsrechtler Vakhushti Menabde als „illegal“. Das Parlament sei verpflichtet, die Entscheidung des Verfassungsgerichts abzuwarten. Bis dahin seien „alle Beschlüsse des Parlaments, alle Gesetze, die Genehmigung des Haushalts und die Wahl der Regierung nichtig.“
Nach Auffassung von Gyla, der georgischen Vereinigung junger Anwälte, verstoßen die Abgeordneten des Georgischen Traums nicht nur gegen die Verfassung, sondern auch gegen die Geschäftsordnung des Parlaments. Denn zunächst habe die Arbeit der Wahlkommission vom Parlament entlastet werden müssen, mit einer Zweidrittelmehrheit von mindestens 100 Stimmen. Über diese verfügt die Regierungspartei nicht. Auch Gyla hat vor dem Verfassungsgericht gegen die Wahlen geklagt. Doch dessen Vorsitzender Richter, Merab Turava, beteuert unterdessen, er sehe „keinen Grund, die Klagen vorrangig zu behandeln.“
Der große Protest ist ausgeblieben
Dass der Rechtsstreit vor Georgiens höchstem Gericht noch fair verläuft, bezweifeln viele, auch Oppositionspolitiker Butikaschwili. Vertreter der Zivilgesellschaft haben längst nachgewissen, dass die staatlichen Institutionen, auch die Staatsanwaltschaft und das Gericht, mit Leuten des „Georgischen Traums“ durchsetzt sind. „Wir erwarten deshalb nichts“, sagt er.
Trotz all der Skandale und Rechtsverstöße bleibt es auf den Straßen der Hauptstadt Tiflis ruhig. Immer wieder organisiert die Opposition zwar kleinere Kundgebungen, doch der große Protest ist zuletzt ausgeblieben. „Die Leute sind sehr frustriert“, sagt Lasha Bakradze vom Bündnis „Einheit“. „Sie glauben nicht, dass man noch etwas Grundsätzliches verändern kann.“ Bakradze war bis September Direktor des Staatlichen Literaturmuseums. Dann wurde er gefeuert.
Mehrheit der Georgier will einen EU-Beitritt
Bis heute wollen stabil 80 Prozent der Georgier in die EU und die NATO; dieses Ziel ist in der Verfassung festgeschrieben. Im Winter letzten Jahres bekam das Land den Kandidatenstatus der EU trotz diverser Versäumnisse. Die Regierung setzt derweil alles daran, die EU-Mitgliedschaft zu verhindern. Bereits im Frühjahr hat sie ein Gesetz durchgebracht, das die Zivilgesellschaft als angebliche Diener ausländischer Mächte diskreditiert und kriminalisiert, nach russischem Vorbild. Als etwa 300.000 Menschen dagegen protestierten, ging die Polizei mit äußerster Härte und gezielt gegen Demonstranten vor.
Aus der EU kommen seitdem klare Ansagen: „Dieses Gesetz ist mit EU-Standards nicht vereinbar“, sagt beispielsweise Michael Roth, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Die EU-Kommission hat Ende Oktober in einem Bericht festgestellt, dass ihre Empfehlungen zu grundlegenden Menschenrechten „nicht umgesetzt wurden“. Pawel Herczynski, EU-Botschafter in Georgien, nannte die Rückschritte „beispiellos für ein Land, das der EU beitreten will“. Der EU-Beitrittsprozess war bereits auf Eis gelegt.
Opposition dringt auf internationale Ermittler
Um den europäischen Partnern klarzumachen, wie sie den Demokraten in Georgien helfen können, ist die Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der „Vereinten Nationalen Bewegung“, Tina Bokuchava, nach Straßburg gereist. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit EU-Parlamentariern am Dienstag sprach sie davon, wie wichtig es sei, die Wahlfälschungen mit internationalen Ermittlern aufzuklären, „die die Europäische Union vor Ort auf dem Gebiet des Beitrittskandidaten Georgien einsetzen wird, um das Ausmaß des Betrugs zu untersuchen.“
Die neue Regierung soll aus seinen Anhängern bestehen: "Georgischer Traum"-Parteigründer Bidsina Iwanischwili, hier 2013 als georgischer Ministerpräsident bei einer Pressekonferenz.
Trotz allem behaupten Vertreter des Georgischen Traums weiterhin, Georgien sei auf dem richtigen Weg in die EU. „Bis 2030 wird Georgien Mitglied der EU sein“, verkündet beispielsweise der Gründer der Partei „Georgischer Traum“ und Multimilliardär Bidsina Iwanischwili immer wieder. Premierminister Irakli Kobakhidze sprach am Donnerstag bei der Bildung der neuen Regierung im Parlament von einer „Wahl zwischen der Rückkehr in die dunkle Vergangenheit und der glänzenden und europäischen Zukunft des Landes“ und meinte damit, der Georgische Traum stehe für letzteres.
Der Personalvorschlag wurde erwartungsgemäß bestätigt. Die Regierung besteht aus treuen Anhängern von Bidsina Iwanischwili. Oppositionspolitiker Butikashwili sieht hinter diesen Widersprüchen ein Konzept: Es gehe darum, „Verwirrung und Resignation in der Bevölkerung zu schaffen.“ Das funktioniert umso besser, als das Vertrauen in die Demokratie in Georgien ohnehin nicht sehr ausgeprägt ist.
Ex-Fußballer soll Präsident werden
Unterdessen präsentierte Iwanischwili seinen Kandidaten für den Posten des Staatsoberhaupts. Er heißt Mikheil Kavelashvili, war Fußballer und hat keinerlei politische Erfahrung. „Jahrelang hat er als erfolgreicher Athlet die Ehre Georgiens verteidigt“, er sei „die beste Verkörperung eines natürlichen georgischen Mannes.“
Es bestehe kein Zweifel, so Iwanischwili weiter, „dass Mikheil Kavelashvili nicht im Dienst einer ausländischen Macht stehen wird.“ Das war ein Seitenhieb auf Noch-Präsidentin Salome Surabischwili, die derzeit alles unternimmt, um Georgien nicht vom EU-Integrationskurs abzubringen. Das neue Staatsoberhaupt soll am 14. Dezember von einer Versammlung aus Parlamentsabgeordneten und Stadträten gewählt werden.
Was passiert, wenn die Opposition sich auch dem verweigert, steht in den Sternen. Oppositionspolitiker Butikashwili sieht das mit großer Sorge: „Diese Wahl könnte die innenpolitische Krise weiter verschärfen und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen des Landes weiter untergraben.“
Der Autor ist freier Osteuropa-Korrespondent.
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