Nach der Parlamentswahl in Georgien : Opposition ruft zu neuen Protesten auf
Bei der Parlamentswahl in Georgien hat die Wahlkommission die Regierungspartei zur Siegerin erklärt. Doch am Wahlergebnis gibt es Zweifel von verschiedensten Seiten.
Georgien hat am vergangenen Samstag gewählt. Das von der Wahlkommission verkündete Ergebnis liegt weit entfernt von Nachwahlbefragungen unabhängiger Meinungsforschungsinstitute. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ soll nach der Auszählung laut Wahlkommission 53,9 Prozent der Wählerstimmen bekommen haben. In den Befragungen lag die Partei jedoch lediglich bei rund 40 Prozent. Das pro-westliche Oppositionsbündnis kam nach offiziellen Angaben auf 37,7 Prozent.
Zahlreiche Wahlmanipulationen dokumentiert
Seit der Bekanntgabe der Ergebnisse reißt der Vorwurf der Manipulation nicht ab. Internationale Wahlbeobachter bestärkten den Verdacht, als sie am Tag nach der Wahl Zweifel äußerten. So wurden Angriffe auf lokale Wahlbeobachter dokumentiert, in verschiedenen Landesteilen wurden Wahllokale teils von gewaltbereiten Kleinkriminellen belagert, es kam zu Handgreiflichkeiten und zu Tumulten. Wählerstimmen waren gekauft worden, und die, die ihre Stimme „verkauft“ hatten, waren angehalten, ihren ausgefüllten Wahlzettel zu fotografieren.
Auch Mitarbeiter von Behörden und Firmen wurden unter Druck gesetzt, das „Richtige“ anzukreuzen und das mit einem Foto zu belegen. Einige Wähler hatten bei der Abstimmung Ausweise anderer Personen dabei und stimmten an deren Stelle ab, gleichfalls dokumentiert ist, dass Wähler mehrfach abstimmten. Das Video eines Mannes, der ein ganzes Bündel Wahlzettel in eine Wahlurne stopft, wurde weltweit gezeigt. Bei dem Mann handelt es sich um Roushen Iskandirow, er ist Lokalpolitiker der Regierungspartei Georgischer Traum des Oligarchen Bidsina Iwanischwili. Pikanterweise gibt es ein gemeinsames Foto von Iskandirow mit Ministerpräsident Iraklli Kobachidse.
Europäische Union spricht von "schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten"
Auch die Möglichkeit, die Stimme in Wahllokalen elektronisch abzugeben, hat für Kritik gesorgt. So hat die „Vereinigung Junger Anwälte“ (GYLA) Beschwerde eingereicht und fordert, die Ergebnisse aller 2.263 Bezirke mit E-Voting zu annullieren. „Das verfassungsmäßige Recht auf geheime Wahl ist am Tag der Abstimmung massiv verletzt worden“, konstatiert die Vorsitzende von GYLA, Nona Kurdovanidse. Mithilfe von in Wahllokalen installierten Videokameras seien teils die Wahlmaschinen der Wahlhelfer, in einigen Fällen sogar das Innere der Wahlkabinen zu sehen gewesen, bis hin zum Kreuz auf dem Wahlzettel.
Bidsina Iwanischwili erklärte seine Partei zur Wahlsiegerin.
Die Europäische Union forderte Georgien auf, die "schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten" bei der Parlamentswahl zu untersuchen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, der Beitrittsanwärter könne nicht Beziehungen zu Russland aufrechterhalten "und erwarten, dass das eigene Land Teil der Europäischen Union wird".
Auch die Bundesregierung äußerte sich besorgt angesichts möglicher Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung. Deutschland unterstütze "voll und ganz die vorläufigen Ergebnisse und Schlussfolgerungen (...) der internationalen Wahlbeobachtungsmission", erklärte das Auswärtige Amt in Berlin im Onlinedienst X. Das Auswärtige Amt kündigte an, dass die Bundesregierung die weiteren Ereignisse in Georgien aufmerksam verfolgen werde. Die Bundesregierung rufe "alle Parteien auf, Zurückhaltung zu üben und Gewalt und weitere Polarisierung zu vermeiden".
Ungarns Premier Orban gratulierte zum Wahlsieg
Ungarns Premier Viktor Orban hingegen ist sofort nach dem Wahlwochenende nach Georgien gereist und hat dem „Georgischen Traum“ zum Wahlsieg gratuliert. Die Staatsmedien interpretierten das als Anerkennung durch die EU. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell erklärte, Orban repräsentiere „nicht die Europäische Union“.
Am Montagabend folgten zigtausend Menschen einem Aufruf der georgischen Staatspräsidentin Salome Surabischwili, die mit Oppositionsparteien und verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu der Demonstration vor dem Parlament aufgerufen hatte. Die regierungskritische Staatschefin Surabischwili hatte den angeblichen Wahlerfolg des Regierungslagers bei dem Urnengang am Samstag auf eine Einmischung in Form einer "russischen Spezialoperation" zurückgeführt. Daraufhin hatte die Staatsanwaltschaft des Landes die Präsidentin zur Befragung einbestellt.
Hoffnungen von 2012 erfüllten sich nicht
Die Menschen in Georgien beobachten die Lage. Diese Ruhe ist ungewöhnlich. Im Jahr 2003 hatte eine manipulierte Wahl hunderttausende Georgier mobilisiert. Tage und Nächte belagerten sie das Parlament. Am Ende stürzte die Regierung. Die neue Führung unter dem damaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili startete grundlegende Reformen und brachten das Land auf Kurs Richtung EU und NATO.
Nach einem guten Start versank sowohl Micheil Saakaschwili als auch sein Umfeld in Skandalen und Affären. 2012 wählten die Georgier Saakaschwili ab. Die Wahl sei damals fair verlaufen und habe demokratischen Regeln entsprochen. Die Partei Georgischer Traum ist seitdem an der Macht. Viele Wähler hofften damals, Georgien werde vom Reichtum des Parteigründers profitieren. Die Partei wurde initiiert vom reichsten Mann des Landes, Bidsina Iwanischwili. Das Magazin Forbes bezifferte sein Vermögen damals auf rund fünf Milliarden US-Dollar. Iwanischwili hat sein Geld in Russland gemacht. Und obwohl das Nachbarland in einem Krieg 2008 zwanzig Prozent des georgischen Staatsgebietes besetzt hat, nähert der Milliardär Georgien Russland wieder an.
Die Umfragen sprechen eine andere Sprache
Dabei will die Mehrheit der Bürger in Georgien einen anderen Weg. Allen Umfragen zufolge befürworten 80 Prozent der Georgier die Mitgliedschaft in der EU. Die EU-Mitgliedschaft ist sogar als Ziel in der Verfassung verankert. Noch in diesem Frühjahr waren bis zu 300.000 Menschen landesweit auf den Straßen, um gegen Gesetze der Regierung zu protestieren, die der EU-Annäherung widersprachen.
Georgien hat etwa 3,5 Millionen Einwohner, von denen etwa eine Million im Ausland leben. Bei den umstrittenen Gesetzen ging es vor allem um ein Vorhaben nach russischem Vorbild, mit dem die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen stark eingeschränkt wird. Die Regierungspartei brachte es mit Gewalt durchs Parlament.
Kritischer Bericht der EU-Kommission
Wenige Tage nach der Wahl hat die EU-Kommission einen Bericht veröffentlicht, in dem es unter anderem um den Stand Georgiens im Beitrittsprozess geht. Die Kommission kommt zum Schluss, dass Empfehlungen zu grundlegenden Menschenrechten „nicht umgesetzt wurden“. Pawec Herczynski, der EU-Botschafter in Georgien, nannte die Rückschritte, die Georgien gemacht hat, beispiellos „für ein Land, das der EU beitreten will.“
Die Regierungspartei weist die Vorwürfe von Wahlmanipulationen zurück. Ihr Generalsekretär Mamuka Mdinaradse hat angekündigt, seine Partei werde Beweise dafür vorlegen, „wer die Stimmen gestohlen hat und wie“. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft ein Verfahren eingeleitet, um die Manipulationen zu untersuchen.
Opposition will Mandate nicht antreten
Doch die Justiz in Georgien ist nicht unabhängig. Vertreter der Zivilgesellschaft haben längst nachgewiesen, dass die staatlichen Institutionen mit Personen des Georgischen Traums durchsetzt sind. „Wir erwarten deshalb von der Staatsanwaltschaft nichts“, sagt Giorgi Butikaschwili vom Oppositionsbündnis „Koalition für den Wandel“, das bei der Wahl 19 Prozent erhielt. Er will sein Mandat nicht antreten. „Wenn alle Institutionen des Staates gekapert sind“, schreibt Nika Gvaramia, eine Parteifreundin Butikaschwilis, „ist die Straße der einzige Ort, an dem das Schicksal des Staates entschieden wird“. Georgien stehen unruhige Zeiten bevor.
Thomas Franke ist Osteuropa-Korrespondent.
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