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Die Notrufnummer 112 ist sehr bekannt, die Hilfenummer 116117 hingegen weniger. Beide Rufnummern sollen vernetzt und die Patienten effektiv in die richtige Versorgungsebene gelenkt werden.

Reform der Notfallversorgung : Patienten sollen effektiver gesteuert werden

Die Notaufnahmen sind vielerorts überfüllt, Patienten müssen lange warten. Künftig sollen Hilfesuchende effektiver in die richtige Versorgungsebene gelenkt werden.

10.10.2024
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5 Min

Ärzte oder Pfleger in der Notaufnahme eines städtischen Krankenhauses brauchen nicht nur viel Erfahrung, sondern auch gute Nerven. An manchen Tagen kommen im Minutentakt Rettungswagen angefahren und liefern eilig Patienten mit offenen Wunden, Brüchen oder Infarkten ab.

Es kommen aber nicht nur die offensichtlichen Notfälle in die Kliniken, sondern Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen meinen, sie müssten sofort im Krankenhaus medizinisch versorgt werden. Darunter sind Patienten mit leichten Verletzungen, ältere Menschen, die gar nicht verletzt, sondern verunsichert sind und solche, die aus Unwissenheit, Bequemlichkeit oder Ungeduld einen schnellen Arzttermin verlangen, andere wollen etwa nur eine Auskunft zur Pflegeversorgung.

Lange Wartezeiten führen auch zu Übergriffen

Experten sprechen von einer Fehlsteuerung der Patienten zu Lasten der Versorgung, aber auch der Mitarbeiter in den Notaufnahmen, die ohnehin unter hohem Druck arbeiten. Neuerdings häufen sich in diesen Hotspots der Krankenhäuser auch Fälle von Gewalt. Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) gaben in einer Umfrage 73 Prozent der Krankenhäuser an, dass die Zahl der Übergriffe in den vergangenen fünf Jahren mäßig (53 Prozent) oder deutlich (20 Prozent) gestiegen sei.

Die Hälfte der Kliniken benennt die Notaufnahme als einen von Übergriffen besonders belasteten Bereich. Als Gründe für die Gewalt werden Respektverlust gegenüber Krankenhauspersonal, aber auch lange Wartezeiten angeführt. Mit einer Reform der Notfallversorgung will die Bundesregierung nun für Entlastung sorgen. Die drei Versorgungsbereiche - vertragsärztlicher Notdienst, Notaufnahmen der Krankenhäuser und Rettungsdienste - müssten besser aufeinander abgestimmt und vernetzt werden, heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung, der am Mittwoch erstmals beraten wurde.

Hilfesuchenden sollen in die richtige Versorgungsebene gelenkt werden

Es gebe Defizite bei der effizienten Steuerung von Hilfesuchenden in die richtige Versorgungsebene. Zudem stünden den Patienten zwei unterschiedliche telefonische Anlaufstellen zur Verfügung: die Rufnummer 116117 der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und die Notrufnummer 112 der Rettungsleitstellen. Dies führe zu einer Fehlsteuerung und damit zu einer Überlastung in den Notaufnahmen und beim Rettungsdienst.

Das sind die Eckpunkte der Notfallreform

▶️ Die Rufnummer 116117 der Kassenärztlichen Vereinigungen und die Notrufnummer 112 der Rettungsleitstellen sollen digital vernetzt werden.

▶️ Akutleitstellen sollen die Behandlungsdringlichkeit beurteilen und Patienten in die passende Versorgungseinrichtung steuern.

▶️ Für Notfälle werden Integrierte Notfallzentren (INZ) flächendeckend eingerichtet. Sie sollen zentrale Anlaufstelle für die Erstversorgung sein.



Akute Fälle sollen künftig von Akutleitstellen vermittelt werden. Sie sollen die Behandlungsdringlichkeit anhand eines standardisierten Ersteinschätzungsverfahrens beurteilen und Patienten in die passende Behandlung vermitteln. Die Rufnummern 112 und 116117 sollen digital vernetzt werden, um Patientendaten einfach übermitteln zu können.

Flächendeckend sind Integrierte Notfallzentren geplant

Für Notfälle werden außerdem Integrierte Notfallzentren (INZ) flächendeckend eingerichtet. Sie sollen rund um die Uhr zentrale Anlaufstelle für die medizinische Erstversorgung sein. Die INZ bestehen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer Notdienstpraxis der KVen und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle, die digital miteinander vernetzt sind. Notdienstpraxen müssen Mindestöffnungszeiten einhalten, auch abends und am Wochenende. Die ambulante Akutversorgung soll, wenn die Notdienstpraxis nicht geöffnet hat, durch sogenannte Kooperationspraxen in der Nähe abgedeckt werden. Wenn weder die Notdienstpraxis noch die Kooperationspraxis geöffnet haben, werden Patienten in die Akut- und Notfallversorgung des Krankenhauses vermittelt.

Lauterbach will auch eine Reform der Rettungsdienste

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach von einer überfälligen Reform, die Menschenleben retten könne. Bei Schlaganfällen oder einem schweren Unfall zähle in der ärztlichen Behandlung jede Minute. Derzeit seien die Strukturen nicht stimmig. Die Ambulanzen und Notfallaufnahmen seien überlastet. Es werde geschätzt, dass 30 Prozent der Patienten, die über Stunden hinweg dort warten, gar nicht in der Notaufnahme behandelt werden müssten. Manche Menschen seien deswegen so frustriert, dass es zum Teil zu "nicht akzeptabler Gewalt" gegen das Personal komme.

Überdies machten Kliniken, die Notfallambulanzen unterhielten, damit Verlust, sagte der Minister. Daher werde mit der Krankenhausreform die Notfallversorgung durch Vorhaltepauschalen und Zuschläge finanziell besser ausgestattet. Die Reform der Notfallversorgung müsse außerdem mit einer Reform der Rettungsdienste kombiniert werden. Er forderte die Opposition auf, an der Reform, die in Fachkreisen unumstritten sei, mitzuwirken.

Opposition verlangt bessere Verzahnung mit der Krankenhausreform

Tino Sorge (CDU) versicherte, die Union habe keinen Zweifel, dass die Reform kommen müsse, es gehe nur um das Wie. Der Entwurf enthalte "viele gute Punkte" in Bezug auf die Patientensteuerung. Die Notfallreform müsse aber besser mit der Krankenhausreform verzahnt werden, sagte Sorge. Es sei noch nicht klar, welches Krankenhaus erhalten bleibe, und schon würden Standorte für Integrierte Notfallzenten festgelegt. Auch mache es angesichts der knappen Fachkräfte keinen Sinn, den Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst, die Notaufnahmen und Rettungsdienste parallel laufen zu lassen. Es gehe darum, Parallelstrukturen zusammenzuführen. Er forderte Lauterbach dazu auf, sich mit den Ländern abzusprechen.


„Patienten und Personal leiden gleichermaßen unter der Ineffizienz des Systems.“
Janosch Dahmen (Grüne)

Auch Thomas Dietz (AfD) forderte eine bessere Abstimmung mit der Krankenhausreform. Solang es keinen Notfallfonds für die von Insolvenz bedrohten Kliniken gebe, sei die Entlastung der Notaufnahmen sinnlos. Er warnte: "Wenn diese Bundesregierung nicht bald handelt, stehen wir vor den Trümmern unserer einst vorbildlichen Krankenhauslandschaft."

Novelle könnte durch mehr Effizienz zu Einsparungen führen

Andrew Ullmann (FDP) verdeutlichte die Schieflage am Beispiel der Rettungsdienste. Nach Angaben des Fachverbandes seien die Kosten für den Einsatz von Rettungswagen zwischen 2012 und 2022 von rund 1,5 auf rund vier Milliarden Euro gestiegen. Das sei inakzeptabel.

Janosch Dahmen (Grüne) schilderte die möglichen Komplikationen insbesondere für ältere Patienten bei der jetzigen Versorgungslage und warb für einen Abbau von Doppelstrukturen. Das Problem seien fehlende Schnittstellen, fehlende Abstimmung und fehlende Vernetzung. "Patienten und Personal leiden gleichermaßen unter der Ineffizienz des Systems." Experten hätten errechnet, dass bis zu 30 Millionen Krankenhaustage eingespart werden könnten, wenn mit den Ressourcen vernünftiger umgegangen würde.

Die Linke bezweifelt, dass genug Geld und Personal verfügbar ist

Herbert Wollmann (SPD) fügte hinzu, von der Notwendigkeit der Reform seien alle Beteiligten im Gesundheitswesen schon lange überzeugt, denn sie beträfen jeden Bürger über die gesamte Lebensspanne.

Kathrin Vogler (Linke) bezweifelt, dass die geplante Reform zu Verbesserungen führt. "Das klingt alles total toll. Aber wo ist die Finanzierung? Und woher kommt das zusätzliche Personal?" Wer gedacht habe, die "vermurkste" Krankenhausreform sei nicht zu toppen, werde mit der Notfallreform eines Besseren belehrt.

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