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Anfang und Ende: Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin kurz vor der Eröffnung im Jahr 1974 (links). 1990, kurz vor der deutschen Einheit, schraubt der letzte StäV-Chef, Franz Bertele, das Bonner Hoheitszeichen ab.

Deutsch-deutsche Geschichte : Ein Haus mit Anziehungskraft

Vor 50 Jahren wurde die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin eröffnet. Wie die DDR hörte die "StäV" mit der deutschen Einheit auf zu existieren.

17.06.2024
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10 Min

Eine Minute nach elf Uhr wurden an der Längsseite im Empfangssaal des Staatsratsgebäudes in Ost-Berlin mit einem Ruck die Flügeltüren geöffnet. Willi Stoph, der höchste Repräsentant der DDR, betrat den grün-weiß gemusterten Teppich, der den Boden des Audienzraumes fast völlig bedeckte. Ihm gegenüber stand, begleitet von einigen Mitarbeitern, Günter Gaus, der erste Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland, bereit, sein Beglaubigungsschreiben zu überreichen. Nach einem höflichen Wortwechsel, bei dem beide den Wunsch ihrer Regierungen nach gut nachbarlichen Beziehungen betonten, bekräftigen sie dies mit einem kräftigen Händedruck.

Drei bundesdeutsche Korrespondenten zur Berichterstattung zugelassen

Der historischen Begegnung am 20. Juni 1974 war ein pompöses Zeremoniell vorausgegangen, mit dem der sozialistische deutsche Staat auswärtige Botschafter zu akkreditieren pflegte. Gewöhnlich gab es dazu vor dem Amtssitz des Staatsoberhauptes den Auftritt einer Ehrenkompanie des Wachregiments "Feliks Dzierzynski". Doch an diesem Tag hatte sich der Platz in eine Baustelle verwandelt, und so fand der militärische Staatsakt, den Blicken Schaulustiger entzogen, im Hof des Gebäudes statt.

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20. Juni 1974: Der Bonner Staatssekretär Günter Gaus (rechts) überreicht dem DDR-Staatsratsvorsitzenden Willi Stoph sein Beglaubigungsschreiben als Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin.

Zur Berichterstattung waren lediglich drei bundesdeutsche Korrespondenten zugelassen worden. Ich stand mit meinen beiden Kollegen am Fenster des breiten Treppenhauses und beobachtete, wie der Kommandeur der Ehrenkompanie Meldung erstattete. Nur nach außen bewegungslos, vernahm Gaus, wie ein Musikzug der Nationalen Volksarmee die beiden Nationalhymnen intonierte. Dann schritt er, begleitet vom DDR-Protokollchef, unter den Klängen von Beethovens Militärmarsch Nr. 1 die Front der Soldaten ab, die in grauer Uniform preußischen Zuschnitts ihr Gewehr präsentierten. Zum Schluss grüßte er - wie es das Protokoll vorschrieb - die schwarz-rot-goldene DDR-Fahne mit Hammer und Zirkel durch "Neigen des Kopfes".

Der Weg bis zu diesem Tag war lang und beschwerlich. Zwar hatten die beiden deutschen Staaten im Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 die Einrichtung "Ständiger Vertretungen" (StäV) vorgesehen. Doch über Rechtsstatus und Zuständigkeiten dieser Institutionen gingen die Ansichten weit auseinander. Während die DDR sie klassischen Botschaften anderer Staaten rechtlich gleichstellen wollte, war die Bundesregierung der Ansicht, die geplanten Institutionen dienten innerdeutschen und nicht diplomatischen Beziehungen. Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR sei damit nicht verbunden.

Beide Seiten wahrten ihr Gesicht 

Viele Monate blieben die Gespräche über diese Kernfragen erfolglos. Erst im Herbst 1973 kam Bewegung in die festgefahrene Situation. Günter Gaus, designierter Ständiger Vertreter, übernahm als amtierender Staatssekretär Bonns Verhandlungsführung. Sein Gegenüber war DDR-Vizeaußenminister Kurt Nier. Im Februar 1974 präsentierten sie eine Einigung, die beide Seiten ihr Gesicht wahren ließ.

Danach sollte für die Vertretungen, ihre Mitglieder und Familienangehörigen die Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen "entsprechend" gelten. Die Chefs trugen die Amtsbezeichnung Ständiger Vertreter, nicht Botschafter. Ferner wurde vereinbart, dass der Leiter der StäV in Ost-Berlin beim Vorsitzenden des Staatsrates, sein Amtskollege in Bonn beim Bundespräsidenten akkreditiert werden. Ihre Ansprechpartner waren an der Spree das Außenministerium, am Rhein das Kanzleramt. Zudem wurde schriftlich fixiert, dass die bundesdeutsche Vertretung berechtigt sei, die Interessen von Berlin (West) wahrzunehmen.

Drei Fakten zur Ständigen Vertretung

📃 Die Einrichtung der Ständigen Vertretungen in Ost-Berlin und Bonn war im Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR vom Dezember 1972 vorgesehen.

🏛️ Die bundesdeutsche Vertretung in Ost-Berlin war berechtigt, auch die Interessen von Berlin (West) wahrzunehmen.

👥 Die Ständigen Vertreter der Bundesrepublik waren Günter Gaus (1974-1981), Klaus Bölling (1981-1982), Hans Otto Bräutigam (1982-1989) und Franz Bertele (1989-1990).



Am 1. Mai 1974 traf Hans Otto Bräutigam als Leiter der Vorauskommandos mit einem Dienstwagen des Bundeskanzleramts in Ost-Berlin ein. Im Interhotel Unter den Linden bezog er vorläufig Quartier. Den künftigen Chef der politischen Abteilung drängte es, das vorgesehene, noch im Umbau befindliche Kanzleigebäude der Vertretung in der Hannoverschen Straße zu besichtigen. "Es hatte einige Mühe gekostet, der DDR das ansehnliche Gebäude mit fünf Stockwerken abzuringen", schrieb Bräutigam im Rückblick. "Sie hätte uns am liebsten irgendwo in einer Randlage Berlins untergebracht." Doch darauf ließ sich die Bundesregierung nicht ein und beharrte auf dem etwas widerwillig angebotenen Amtssitz in zentraler Lage. Für den sprach auch ein dazu gehörender großer Hof, den die Vertretung für den Anbau eines Casinos nutzen wollte, in dem größere Empfänge möglich waren. Dieses zweigeschossige "Gartenhaus", von dem aus ein überdachter Gang zum Hauptgebäude führte, wurde im November 1975 mit einem Empfang eingeweiht.

Vier Wochen davor flog Guillaume auf

Am 24. Juni 1974, vier Tage nach dem Agrément von Gaus und wesentlich später als geplant, nahm die Ständige Vertretung in Ost-Berlin offiziell ihre Arbeit auf. An der Hausfront wehte die Bundesflagge. Am Haupteingang wurde unter interessierten Blicken von Passanten ein Schild enthüllt, das verkündete, wer hier residiert: "Bundesrepublik Deutschland - Ständige Vertretung". Der verschobene Zeitplan hatte Gründe. Vier Wochen zuvor war Günter Guillaume, der persönliche Referent von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), als Agent des DDR-Staatssicherheitsdienstes aufgeflogen.

Der spektakuläre Spionagefall, der Brandt zum Rücktritt bewog, verschlechterte die ohnehin labile deutsch-deutsche Wetterlage. Bundesdeutsche Gegner der Entspannungspolitik fühlten sich in ihrer Skepsis bestätigt. Brandts Amtsnachfolger Helmut Schmidt (SPD) sah jedoch keinen Grund, die eingeleitete Aufnahme geregelter Beziehungen zur DDR zu stoppen. Über Gaus ließ er den DDR-Regenten lediglich ausrichten, dass die Bundesregierung sehr empört sei und sich Derartiges nicht wiederholen dürfe.


„Wir mussten laut und mit hoher Stimme in den Hörer brüllen, sodass die Lauscher auf der anderen Straßenseite wahrscheinlich ohnehin alles mithören konnten.“
Sekretärin in der Ständigen Vertretung

Dem Ständigen Vertreter und seinen Mitarbeitern war von Anfang an bewusst, dass sie im Fadenkreuz der Staatssicherheit standen und damit rechnen mussten, abgehört zu werden. In einen der Räume wurde daher eine Telefonzelle installiert, von der aus gehackte Impulse zum Kanzleramt in Bonn übertragen wurden, wo sie von einem speziellen Empfängergerät wieder decodiert wurden. Ob die Anlage ihren Zweck erfüllte, ist zweifelhaft. In ihrem Buch "Das 'weiße Haus' in Ost-Berlin" zitiert Jacqueline Boysen eine Sekretärin mit den Worten: "Wir mussten laut und mit hoher Stimme in den Hörer brüllen, sodass die Lauscher auf der anderen Straßenseite wahrscheinlich ohnehin alles mithören konnten."

Eine Konsularabteilung hatte die StäV nicht

Auch die Telex-Verbindung zum Kanzleramt war verschlüsselt. Der Code wurde regelmäßig geändert. Die Vorsicht ging so weit, dass die Sekretariate auch nach der Einführung elektrischer Schreibmaschinen zeitweise wieder mechanische Modelle nutzten - aus Furcht, die Impulse der Elektrogeräte könnten von der Stasi aufgefangen werden. Der Clou aber war die "Laube", ein abhörsicherer, fensterloser, sauna-ähnlicher Raum im vierten Stock , wo auch der Leiter der Ständigen Vertretung und sein Stellvertreter ihre Büros hatten. Dort fanden tägliche Lagebesprechungen und andere Gespräche statt, die fremden Ohren vorenthalten werden sollten.

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14 Jahres nach dem Ende: Der ehemalige Vertreter der BRD in der DDR, Hans-Otto Bräutigam, berichtet im Juni 2004 über seine Arbeit im damals geteilten Land.

Mit rund 80 Mitarbeitern war die StäV die größte westliche Vertretung in Ost-Berlin. Sie kamen aus verschiedenen Bundesministerien. Willkommen waren auch jüngere Referenten, die nicht aus dem Beamtenapparat stammten, aber als Anhänger der sozialliberalen Ostpolitik hoch motiviert waren. Gegliedert war die Vertretung in die Abteilungen Politik, Wirtschaft und Rechtsfragen, denen Referate wie das für Kultur unterstanden. Der Rechtsabteilung oblag das Kerngeschäft. Das reichte von der Lösung humanitärer Einzelfälle über teilungsbedingte Vermögensangelegenheiten, den Reise- und Besuchsverkehr bis zur Familienzusammenführung und Häftlingsbetreuung. Die in Botschaften übliche Konsularabteilung, die Pässe ausstellen kann, fehlte.

Ausreisewillige verharren im Gebäude

Nicht nur Bundesbürger und West-Berliner kamen mit ihren Anliegen in die Vertretung, sondern auch Menschen aus Ost-Berlin und den DDR-Bezirken. Weder ließen sie sich von dem vor dem Eingang stehenden Volkspolizisten abschrecken noch von der Aussicht, auf dem Heimweg kontrolliert oder gar verhaftet zu werden. Die meisten suchten Hilfe bei dem Wunsch, aus der DDR-Staatsbürgerschaft entlassen zu werden. Immer wieder mussten die Mitarbeiter der StÄV den Bittstellern erklären, dass darüber allein die DDR bestimmen könne und sie nicht berechtigt seien, ihnen die Tür in den Westen zu öffnen.

Kritischer wurde es, wenn Besucher nicht mehr gehen wollten, um auf diese Weise ihre Ausreise zu erwirken. Gaus erlebte das im Frühjahr 1975, als er spät abends in die Vertretung gerufen wurde: "Meine beiden Sekretärinnen waren da, zwischen ihnen kroch so ein entzückendes Baby herum." Im Nebenzimmer saß das aus Dresden angereiste Ehepaar, das sich weigerte, das Haus zu verlassen. In seiner Not rief Gaus den Rechtsanwalt Wolfgang Vogel an, der sich in Ausreise-Fällen als verlässlicher Vermittler bewährt hatte. Der machte den Eltern ein Angebot. Wenn sie mit Kind nach Dresden zurückkehrten und nach dem üblichen Verfahren einen Ausreiseantrag stellten, werde ihr Anliegen innerhalb von sechs Wochen positiv beschieden. Dafür garantiere er. Die Familie ließ sich notgedrungen darauf ein und die DDR-Führung ermöglichte Vogel, sein Versprechen zu halten.

Die US-Botschaft wird besetzt

Im Januar 1984 besetzten sechs junge DDR-Bürger unter dem Vorwand, einen Film sehen zu wollen, die Bibliothek der US-Botschaft in Ost-Berlin und verlangten, nach West-Berlin gebracht zu werden. Die Mission wandte sich ratsuchend an ihre Kollegen von der StäV, die auf Rechtsanwalt Vogel verwiesen. Der machte den jungen Männern ein außergewöhnliches Angebot: Wenn sie die Botschaft verließen, könnten sie unter Umgehung des zeitraubenden Amtsweges die DDR verlassen. Nach kurzem Besuch in Vogels Kanzlei, wo sie ihre Ausreiseanträge ausfüllten, fuhr sie der Anwalt noch am Abend desselben Tages mit seinem Auto nach West-Berlin.

Mehr von Peter Pragal

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Als Medien darüber berichteten, fanden sich sofort Nachahmer. In den folgenden Monaten kamen immer mehr DDR-Bürger, um über die StäV ihre Ausreise zu erzwingen. Hans Otto Bräutigam, der 1982 seinen Vorgänger Klaus Bölling als Leiter der Vertretung abgelöst hatte, sah sich veranlasst, nach Rücksprache mit der Bundesregierung das Haus vorübergehend für Besucher zu schließen. Zu dieser Zeit waren 55 Männer, Frauen und Kinder in dem Gebäude, für die in bedrückender Enge Schlafquartiere eingerichtet worden waren. Hinter den Kulissen suchten die Beauftragten beider Regierungen nach einer Lösung. Sie kam in Form einer Zusicherung auf Straffreiheit und dem Angebot, Ausreiseanträge im Sinne der Betroffenen zu entscheiden. Trotz anfänglichen Misstrauens leerten sich allmählich die Unterkünfte.

Der Höhepunkt der Krise stand indes noch bevor. Als sich 1989 Ostblock-Staaten wie Polen und Ungarn für demokratische Regierungsformen öffneten, hielt die SED-Führung trotzig an ihrem dogmatischen Kurs fest. Während mutige Bürger offen dagegen protestierten, breitete sich bei der Mehrheit der Bevölkerung Staatsverdrossenheit rasant aus. Andere DDR-Bürge wollten nur noch weg. Sie flüchteten in bundesdeutsche Botschaften von Nachbarstaaten. Oder eben in die StäV.

Menschenunwürdige Zustände im Gartenhaus

Allein am 8. August suchten 117 Menschen im Haus an der Hannoverschen Straße Zuflucht. Zum zweiten Mal mussten die Rollgitter am Eingang heruntergelassen werden. Die Zustände im Gartenhaus, wo für 19 Einzelpersonen und 39 Familien nur zwei Waschräume nebst zwei Toiletten zur Verfügung standen, nannte die Bundesregierung "menschenunwürdig." Die DDR-Regierung stellte sich stur und protestierte gegen die "widerrechtliche" Wahrnehmung von Obhutspflichten gegenüber DDR-Bürgern. Sie empfahl, die Bittsteller vor die Tür zu setzen, und bot Unterstützung durch "Organe der DDR" an, um die Menschen aus dem Haus zu entfernen. Das lehnte die Vertretung entschieden ab.

Geschockt von Ungarns Ankündigung, seine Grenze zu öffnen und so tausenden angereister DDR-Bürger den Weg in den Westen frei zu machen, zeigte sich die DDR-Führung bereit, den Flüchtlingen in der Vertretung Straffreiheit zu gewähren und ihre Ausreiseanträge zu genehmigen. Am 8. September, drei Tage bevor sich der Eiserne Vorgang zwischen Ungarn und Österreich hob, teilte Wolfgang Vogel den Ausreisewilligen in der Vertretung die Entscheidung seiner Regierung mit. Die bei diesem Verfahren üblichen Kosten übernahm einmal mehr die Bundesregierung.

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Nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch des SED-Regimes nahm die Bedeutung der StäV von Tag zu Tag ab. "Sie war nicht etwa wichtiger Austragungsort deutschlandpolitischer Entscheidungen, sondern sie wurde schlicht nicht mehr gefragt", schreibt Jaqueline Boysen in ihrem Buch. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) nahm das Heft selbst in die Hand und führte Telefongespräche mit der SED-Spitze. Auch die war nicht mehr auf die Vermittler der StäV angewiesen, sondern bevorzugte den direkten Zugang nach Bonn.

An der Bedeutung der Arbeit, die die bundesdeutsche Außenstelle als Ort der Begegnung zwischen den Deutschen Ost und West geleistet hatte, änderte das nichts. Die Empfänge der großzügigen Gastgeber waren legendär. Das Gartenhaus wurde zum Begegnungsort, an dem man ungezwungen seine Meinung austauschen konnte. Bürgerrechtler, bekannte Künstler und Schriftsteller der DDR trafen auf wissbegierige West-Kollegen. Protokollbewusste Vertreter der DDR-Regierung blieben selten lange, angereiste Bundespolitiker und das Gros der Gäste umso länger. Lesungen, Konzerte und Kunstausstellungen lockten Heerscharen interessierter DDR-Bürger. Und auch im Privatleben der Vertretungs-Mitarbeiter entwickelten sich Freundschaften, die zum besseren Verständnis zwischen Deutschland Ost und West beitrugen.

Anfang Oktober 1990 luden Franz Bertele, seit Januar 1989 letzter der vier StäV-Chefs, und seine Frau unter dem Motto "Die deutsche Einheit kommt - die Ständige Vertretung geht" zum Empfang. Zum letzten Mal traf sich eine deutsch-deutsche Gesellschaft, die - wie die Autorin Boysen schreibt - seit mehr als 16 Jahren versucht hatte, "politische Klippen zu umschiffen und die Sprachlosigkeit zwischen den Lagern zu überwinden".

Für eine abschließende, symbolträchtige Inszenierung plante Bertele, das Amtsschild der Vertretung öffentlich abzuschrauben. Doch eines Morgens war die Plakette mit dem Hoheitszeichen verschwunden - gestohlen offenbar von einem Souvenirjäger. Auf eigene Kosten ließ Bertele einen Ersatz anfertigen. Am 2. Oktober 1990 zelebrierte er mit einen Schraubenzieher vor Publikum und Kameras den symbolträchtigen Akt. Wie die Deutsche Demokratische Republik hörte auch die Ständige Vertretung der Bundesrepublik "bei der DDR" auf zu existieren.

Der Autor berichtete von 1974 bis 1979 als West-Korrespondent für die "Süddeutsche Zeitung" und von 1984 bis 1991 für den "Stern" aus Ost-Berlin.