Friedrich Merz im Porträt : Der Eigensinnige
Wie tickt der voraussichtlich nächste Bundeskanzler? Die Journalisten Volker Resing und Sara Sievert zeichnen den Weg des Christdemokraten Friedrich Merz nach.
Seit Friedrich Merz im Jahr 1989 durch den Einzug ins Europäische Parlament erstmals ein gewähltes Mandat wahrnahm, ist er kein Unbekannter. Nun schickt sich der Christdemokrat nach jahrelangen Etappen im Bundestag und in der Wirtschaft an, mit 69 Jahren ins Kanzleramt zu wechseln - und dennoch fragt man sich: Wer ist Friedrich Merz wirklich? Wer ist der Mann, der die deutschen Regierungsgeschäfte wahrscheinlich übernehmen wird?

In wenigen Wochen möchte sich der CDU-Chef Friedrich Merz zum Bundeskanzler wählen lassen.
Zwar redet er meist Klartext, man hört ihm unweigerlich zu. Nur ist Merz zuweilen nicht leicht einzuordnen. Einerseits schickte er Anfang Februar eine unmissverständliche Absage an die AfD: "Es gibt keine Zusammenarbeit, es gibt keine Duldung", sagte er, "es gibt keine Minderheitsregierung, gar nichts." Drei Wochen später polterte er im Wahlkampfabschluss in die andere Richtung: "Links ist vorbei!", rief er, keine linke Politik gebe es mehr in Deutschland. Und er kündigte eine Politik an, für "die Mehrheit, die gerade denken und auch noch alle Tassen im Schrank haben!" Das lässt schon darüber rätseln, wie Merz tickt, was ihn leitet und antreibt.
Einblicke in Merz politische Karriere und die Welt der CDU
Zwei aktuelle Bücher versuchen, den Sauerländer zu ergründen und bieten auch Aufschluss. Echte Biografien sind es nicht, eher journalistische Begleitberichte. Aber sie tauchen ein in die Welt der CDU, die Merz erzog, und sie geben Einblick in seine Persönlichkeit, beleuchten seinen inneren Kompass. Dabei ergänzen sich Sara Sieverts "Der Unvermeidbare" und Volker Resings “Friedrich Merz - sein Weg zur Macht”.
Sievert konzentriert sich auf die letzten Jahre seit 2018 und beschreibt dicht, wie sich der eigentliche Polit-Aussteiger nach dem angekündigten Rückzug Angela Merkels vom Parteivorsitz eben jenen in mehreren Anläufen sicherte, die Unionsfraktion im Bundestag übernahm und erfolgreicher Spitzenkandidat wurde. Resing dagegen holt weiter aus und nimmt den Leser an die Hand zu einem historische angelegten Streifzug zu den Lebenswelten von Merz. Denn vielseitig ist der Mann aus Brilon durchaus.

Volker Resing:
Friedrich Merz.
Sein Weg zur Macht.
Herder,
Freiburg 2025;
224 S., 22,00 €
So erfährt der Leser vom Vater, der als Richter in der US-Besatzungszone NS-Prozesse durchführte - und dass Merz Junior die Akten studierte. Resing schildert die emotionale, durchaus harmoniebedürftige Seite des Unionspolitikers, der schon zu Jugendzeiten leidenschaftliches Diskutieren liebte, bei seinem Einzug in den Bundestag 1994 gleich in den Finanzausschuss kam, bei seiner ersten Rede im Plenarsaal zwei Zwischenfragen zuließ und in ihr vor einem Rückfall in Nationalismen in Europa warnte.
Besonders die Konservativen und Marktliberalen in der CDU unterstützen Merz
In der Post-Kohl-Ära der CDU positionierte sich Merz noch als Unterstützer Angela Merkels und gesellte sich anfangs nicht zum damaligen CDU-Jungmännerbund "Andenpakt". Merkel und er "gehörten zusammen zu denen, die an der Neujustierung arbeiteten und die ,braune Jauche' von der Union fernhalten wollten", schreibt Resing mit Blick auf den damaligen Abgeordneten Martin Hohmann, der später bei der AfD landete und zeigte, dass die CDU ihre rechte Flanke bereits vor Merkels Kanzlerschaft geöffnet hatte.
Der Leiter des Innenpolitik-Ressorts beim Magazin "Cicero" skizziert, wie der damalige CDU-Parteichef Wolfgang Schäuble Merkel und Merz förderte, was auf eine Machtentscheidung hinauslaufen musste und welche durch Merkels Coup beantwortet wurde, als sie sich in Absprache mit CSU-Chef Edmund Stoiber für die Zusicherung seiner dann nicht erfolgreichen Kanzlerkandidatur 2002 in jedem Fall den Fraktionsvorsitz sicherte; den hatte gerade Merz inne - damals scheiterte er nicht nur an Merkel, sondern auch an der Partei. Es zeigt, dass Merz nie ein echter Netzwerker war, seltener als andere zum Telefon griff und stattdessen auf seine Rhetorik setzte.

Sara Sievert:
Der Unvermeidbare.
Ein Blick hinter die Kulissen der Union.
Rowohlt,
Berlin 2025;
256 S., 24,00 €
Erst später entwickelte sich Merz zum Antipoden der Kanzlerin, in dem Konservative und Marktliberale "ihren" Mann sahen; der dann in die Wirtschaft abwanderte und immer wieder gebeten worden war, zurückzukehren. Andere aber, das wird durch die Lektüre klar, wurden in der CDU nie mit ihm warm.
Mehr kritisches Nachhaken hätte Resingers Buch gut getan
Manchem in Resings Buch mangelt es an kritischer Distanz. Die Seelenlage der CDU in den vorigen Siebzigern und Achtzigern wird zwar eindrücklich ausgeleuchtet, die Neunziger aber als "Triumph, Katerstimmung und Saturiertheit" zu beschreiben, trifft zumindest auf Ostdeutschland kaum zu.
Auch kanzelt Resing die Kritiken an Merz wegen seiner vielen Wirtschaftsmandate als "Ressentiments" und "Unterstellung" ab, fragt aber nicht nach dem Zeitmanagement des Volksvertreters im Schatten seiner zahlreichen Jobs in den Nullerjahren. Auch der von Merz als CDU-Chef betriebene Umbau des Parteiapparats wird eher ungeprüft referiert - das eine oder andere Nachhaken hätte genutzt.
Wie sich die CDU aus Angst vor einem erneuten Wahldesaster hinter Merz versammelte
Schon im Umschlagstext verdeutlicht Sievert hingegen einen kritischeren Umgang mit Merz: "Nicht nur, weil die anderen besser waren als er", schreibt sie mit Blick auf seine beiden erfolglosen Kandidaturen für den Parteivorsitz, "sondern auch, weil Merz lange nicht ausreichend überzeugt hat, die Partei nicht mehr kannte".
Die Chefreporterin bei "t-online" beschreibt, wie sich die CDU schließlich hinter Merz auch aus Angst vor einer Wiederholung des Wahldesasters im Jahr 2021 versammelte, als Querschüsse aus der CSU dem Spitzenkandidaten Armin Laschet schadeten. Sie zeichnet nach, wie sehr Bayerns Ministerpräsident Markus Söder versuchte, anstatt Merz Spitzenkandidat der Union für die letzte Bundestagswahl zu werden, aber diesen Machtkampf verlor. Sievert schildert, wie sich Merz in der CDU alternativlos machte. Die Programmarbeit unter dem neuen Generalsekretär Carsten Linnemann bewertet sie mit Humor: "Für einen kurzen Moment könnte man denken, dass die CDU jetzt eine Programmpartei ist." Bei Sievert etwas kurz kommen die Datierungen, das erschwert dem Leser die Orientierung.
Weitere Biografien

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Wer ist er nun also, der mögliche neue Kanzler? Sievert: "Der Sauerländer ist insofern authentisch, als dass man ihm in den allermeisten Fällen anmerkt, wenn er auf etwas keine Lust hat." Und Resing: “Vor allem ist er nicht so berechenbar. In seiner Eigenständigkeit und Eigensinnigkeit erinnert er mehr an Gerhard Schröder als an Angela Merkel.”