Bundestag will Migrationswende : AfD verhilft Merz zur Mehrheit
CDU-Chef Friedrich Merz setzt einen Antrag zur massiven Verschärfung der deutschen Migrationspolitik durch - mit den Stimmen der AfD.
Zumindest in der Wortwahl trafen sich Britta Haßelmann und Bernd Baumann ganz knapp bei der Einordnung des Geschehens an diesem Mittwochabend im Bundestag: "Das ist wahrlich ein historischer Moment", freute sich der Parlamentarische AfD-Fraktionsgeschäftsführer über das gerade verkündete Abstimmungsergebnis. Und Haßelmann, Vorsitzende der Grünen-Fraktion, sprach von einem "historischen Tag", meinte das im Gegensatz zu Baumann aber "im negativen Sinne", wie sie gleich hinzufügte. Was war geschehen im Hohen Haus?
In namentlicher Abstimmung hatte der Bundestag mit 348 Ja- gegen 344 Nein-Stimmen bei zehn Enthaltungen einen Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion mit einem Fünf-Punkte-Plan zur massiven Verschärfung der deutschen Migrationspolitik angenommen. Für die Vorlage votierten neben 187 Unions- und 80 FDP-Abgeordneten auch 75 von der AfD und sechs fraktionslose, während sich die Gruppe BSW und zwei Liberale enthielten; SPD, Grüne und Linke stimmten geschlossen dagegen wie auch Antje Tillmann (CDU); 31 Parlamentarier - darunter je acht von CDU/CSU und FDP - gaben ihre Stimme nicht ab. Damit kam es bei einer Abstimmung im Bundestag erstmals zu einer Mehrheit mit den Stimmen der AfD-Fraktion.
Das Parlament fordert ein Ende der illegalen Migration…
In der Entschließung, die die Bundesregierung rechtlich nicht bindet, plädiert das Parlament für "sofortige, umfassende Maßnahmen zur Beendigung der illegalen Migration, zur Sicherung der deutschen Grenzen und zur konsequenten Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Personen, insbesondere von Straftätern und Gefährdern". Im Einzelnen werden in der Vorlage eine dauerhafte Kontrolle der deutschen Grenzen zu allen Nachbarstaaten sowie die "Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise" gefordert. Dabei soll ein "faktisches Einreiseverbot" für Personen gelten, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen und nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen. Diese seien unabhängig davon, ob sie ein Schutzgesuch äußern, zurückzuweisen.
Forderung auch nach einem faktischen Einreiseverbot für Personen ohne Dokumente: Hier kommen Geflüchtete in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen an.
Vollziehbar ausreisepflichtige Personen sollen dem Beschluss zufolge unmittelbar in Haft genommen und die Zahl der Abschiebungen deutlich erhöht werden. Ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder sollen nach dem Willen des Parlaments in Ausreisearrest bleiben, bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder die Abschiebung vollzogen werden kann. Zudem soll die Bundespolizei die Befugnis erhalten, "bei im eigenen Zuständigkeitsbereich aufgegriffenen, ausreisepflichtigen Personen auch selbst und unmittelbar Haftbefehle für Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam beantragen zu können".
….und gedenkt der Opfer von Magdeburg und Aschaffenburg
Zu Beginn der Sitzung hatte der Bundestag mit einer Schweigeminute der Opfer des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg und der Messerattacke gegen eine Kindergartengruppe in Aschaffenburg gedacht. In Magdeburg war ein aus Saudi-Arabien stammender Mann im Dezember gezielt in die Menschenmenge gerast und tötete sechs Menschen; bei dem Messerangriff eines ausreisepflichtigen Afghanen am 22. Januar kamen zwei Menschen ums Leben, darunter ein zweijähriges Kind. "Wir sind fassungslos und fragen uns: Wie konnten zwei Männer, die in Deutschland Schutz suchten und fanden, eine solche Gewalt gegen Unschuldige verüben", sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in einer kurzen Gedenkansprache vor den Abgeordneten. Zugleich mahnte sie, die anschließende Debatte über Konsequenzen aus den Gewalttaten müsse "ehrlich, schonungslos und respektvoll" geführt werden.
Die begann mit einer Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Der verteidigte die Migrationspolitik seiner Regierung und hielt Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) vor, dass Deutschland bei einer Umsetzung der CDU/CSU-Vorschläge europäisches Recht brechen würde. Auch nehme Merz mit seinem Vorgehen die Unterstützung der AfD für seine "rechtswidrigen Vorschläge" offen in Kauf und kündige damit einen seit Gründung der Bundesrepublik bestehenden Konsens aller Demokraten auf, "mit extremen Rechten nicht gemeinsame Sache" zu machen.
Merz: Jeden Versuch unternehmen, die illegale Migration zu begrenzen
Merz entgegnete, es liege allein bei SPD und Grünen, ob es für die Vorschläge seiner Fraktion "in der Mitte des Deutschen Bundestages" eine parlamentarische Mehrheit gibt. Man sei es den Menschen im Lande und den Opfern der Gewalttaten der letzten Monate schuldig, jeden Versuch zu unternehmen, die illegale Migration zu begrenzen, ausreisepflichtige Asylbewerber in Gewahrsam zu nehmen und "endlich abzuschieben".
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) warf der CDU/CSU vor, in der Sache einer Logik zu folgen, die "Recht brechen will, um Recht zu verändern - das Europarecht und das deutsche Grundgesetz". Zugleich warnte er vor einem "Bruch mit der Tradition dieser Republik", weil Union und FDP "unnötig und falsch" ein Bündnis mit den Rechtspopulisten eingingen.
Weitere Migrationsvorlagen verfehlen nötige Mehrheit
FDP-Chef Christian Lindner erwiderte, seine Fraktion lasse sich "von der Unterstützung einer richtigen Botschaft nicht dadurch ablenken, dass die AfD auch zustimmt". Das Problem sei nicht, dass die AfD dem Antrag zustimme, sondern dass SPD und Grüne das nicht machten.
Der Innenexperte der SPD-Fraktion wirft der Union vor, nicht an Kompromissen in der Migrationspolitik interessiert zu sein. Vielmehr gehe es um einen Tabubruch.
Der Bundestag ringt mit zwei Gruppenanträgen, die auf ein AfD-Verbot abzielen. Doch eine Entscheidung vor der Bundestagswahl ist unwahrscheinlich.
Die Union scheitert mit dem Versuch, ihr "Zustrombegrenzungsgesetz" auch mit Stimmen der AfD zu verabschieden. 338 Abgeordnete stimmten dafür, 349 gegen den Entwurf.
Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel hielt der Union vor, den Fünf-Punkte-Plan bei ihrer Partei kopiert zu haben. Ein "unverbindlicher Entschließungsantrag" sei jedoch noch keine Migrationswende. Die werde nur mit der AfD kommen.
Ein weiterer Entschließungsantrag der CDU/CSU zur "Stärkung der Inneren Sicherheit" blieb ohne Mehrheit, ebenso Vorlagen von FDP und AfD zur Migrationspolitik. Die beschäftigte den Bundestag in seiner wohl letzten vollständigen Sitzungswoche der Wahlperiode durchgängig: Am Donnerstag debattierte er erstmals über drei AfD-Anträge zu Maßnahmen gegen Islamisten und zu “migrationsbezogener Kriminalität”. Und am Freitag stand dann schließlich die Abstimmung über den CDU/CSU-Entwurf eines “Zustrombegrenzungsgesetzes”, auf der Tagesordnung sowie auf AfD-Antrag eine Aktuelle Stunde über Konsequenzen aus den beiden Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg.