Ortstermin zum Bürgerrat Ernährung : Was aus den Empfehlungen des Bürgerrates wurde
Der Bürgerrat erarbeitete Vorschläge für eine bessere Ernährungspolitik. Umgesetzt wurde bisher keiner. Ein aktueller Bericht dazu wurde im Bundestag übergeben.
Es war ein ambitioniertes Projekt: Der Bürgerrat "Ernährung im Wandel" brachte in den vergangenen zwei Jahren Bürgerinnen und Bürger aus Deutschland zusammen, um über die Zukunft der Ernährungspolitik zu beraten. Doch was bleibt von den engagierten Debatten und den sorgfältig ausgearbeiteten Vorschlägen?
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Mitglieder des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft und des Bürgerrates überreichen den Sachstandsbericht zu den Beratungen zum Bürgergutachten "Ernährung im Wandel" an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (4. v.r.).
Hermann Färber (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft, übergab am vergangenen Dienstag einen Sachstandsbericht dazu an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Während der Veranstaltung würdigten sie und Färber auch das Engagement der Teilnehmenden - doch unter diesen wächst die Enttäuschung über die fehlende Umsetzung ihrer Empfehlungen.
Kostenloses Schulessen und Energydrink-Altersgrenze gefordert
Die Mitglieder des Bürgerrats hatten intensiv erörtert, wie eine nachhaltige und gesunde Ernährung in Deutschland gefördert werden kann. Das Ergebnis: neun konkrete Empfehlungen - darunter die Einführung eines kostenfreien, gesunden Mittagessens für alle Kinder in Kitas und Schulen, die verpflichtende Weitergabe genießbarer Lebensmittel oder die Einführung einer Altersgrenze für Energydrinks. Zwar debattierte der Bundestag über die Vorschläge, doch keine der Empfehlungen wurde in Gesetze überführt oder durch konkrete Maßnahmen umgesetzt.
"Der Ausschuss für Ernährung hat sich mehrfach mit den Empfehlungen des Bürgerrates auseinandergesetzt", betonte Hermann Färber bei der Übergabe des Sachstandsberichts an die Bundestagspräsidentin. "Wir haben externe Sachverständige eingeladen, und auch andere Ausschüsse - wie der Finanzausschuss oder der Ausschuss für nachhaltige Entwicklung - haben sich mit dem Thema befasst." Dass keine der Empfehlungen bisher weiterverfolgt wurde, liege laut Färber auch an der verkürzten Wahlperiode infolge des Bruchs der Ampel-Koalition.
„Ich hätte mir gewünscht, dass wenigstens eine Empfehlung umgesetzt wird.“
Unter den Teilnehmenden des Bürgerrates, die bei der Übergabe des Berichts anwesend waren, überwog die Enttäuschung. Ingeborg Simon, die eigens von Dortmund nach Berlin gereist war, sagte im Bundestag: "Ich hätte mir gewünscht, dass wenigstens eine Empfehlung umgesetzt wird." Es sei interessant gewesen, am Bürgerrat teilzunehmen, um zu verstehen, wie Demokratie funktioniert, so Simon. Doch: "Was mit den Empfehlungen in der kommenden Legislatur passiert, steht in den Sternen."
Noch deutlicher formulierte es Joachim Joppe aus Solingen: "Viele Teilnehmende sind enttäuscht und desillusioniert." Auch habe die Nicht-Umsetzung der Empfehlungen die Politikverdrossenheit einiger Beteiligter verstärkt. "Wir haben den Empfehlungen extra Finanzierungspläne beigefügt, aber auch das fällt jetzt alles unter den Tisch", kritisierte er. Dennoch engagiert sich Joppe weiter. Er sagt: "Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass unsere Empfehlungen doch umgesetzt werden."
Bundestagspräsidentin will weitere Bürgerräte
Der erste Bürgerrat des Bundestages war ein Versuch, politische Entscheidungen bürgernäher zu gestalten. Die 160 per Zufall ausgewählten Teilnehmenden aus ganz Deutschland investierten viel Zeit und Energie in ihre Empfehlungen: Sie diskutierten an drei Präsenzwochenenden in Berlin und in mehreren Onlinesitzungen über nachhaltige Ernährung, Lebensmittelverschwendung und Tierwohl.
Auch für die kommende Legislaturperiode würde sich Bundestagspräsidentin Bas den Einsatz weiterer Bürgerräte wünschen, sagte sie bei der Übergabe des Berichts. Sie räumte jedoch ein, dass der Bürgerrat Ernährung bei Politikerinnen und Politikern durchaus umstritten war.
Insbesondere aus den Reihen der Union und der AfD kam Kritik am Bürgerrat. Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor bemängelte beispielsweise, dass durch den Bürgerrat die politische Verantwortung des Parlaments ausgelagert werde. Repräsentation dürfe nicht wie beim Bürgerrat durch ein Losverfahren bestimmt werden, sondern müsse über die Wahl von Abgeordneten erfolgen.
Zukunft der Bürgerbeteiligung ungewiss
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sich der Bürgerrat als fester Bestandteil der politischen Landschaft etabliert. Einige Parteien - darunter die SPD und Bündnis 90/Die Grünen - haben sich laut ihren Wahlprogrammen vorgenommen, erneut Bürgerräte einzusetzen. Die SPD könne sich etwa einen Bürgerrat zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie vorstellen. Bei der Union, der FDP und dem BSW tauchen Bürgerräte in den Wahlprogrammen nicht auf, während die AfD sie ausdrücklich ablehnt. Die Linke hingegen setzt sich für Bürgerräte mindestens auf regionaler Ebene ein, vornehmlich im Bereich der Landwirtschaft.
Nach Übergabe des Sachstandsberichts ermutigte die Bundestagspräsidentin die Teilnehmenden des Bürgerrates, trotz einiger Enttäuschung, stolz auf ihre Arbeit zu sein: “Vorschläge des Bürgerrats, wie das kostenfreie Mittagessen, sind in den Wahlprogrammen einzelner Parteien wiederzufinden - das können Sie als kleinen Erfolg verbuchen.”
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