Parlamentarisches Profil : Der Nachrücker: Johannes F. Kretschmann
Der Grünen-Politiker Johannes F. Kretschmann ist einer der letzten Nachrücker in dieser Wahlperiode. Politik liegt bei ihm in der Familie.
Er gehört zu jenem Typ Mensch, bei dem man sofort ein Einvernehmen spürt, selbst, wenn er sich gerade ärgert. Johannes Friedrich Kretschmann kommt gerade von einem verpatzten Interview - "jetzt reg ich mich über mich auf", sagt er am Telefon, nur extrem zornig klingt es kaum. Mit einem ukrainischen Aktivisten hatte er sich vor der russischen Botschaft in Berlin getroffen, doch während des Gesprächs leerte sich der Handyakku, das aufnehmende Gerät ging aus, "nun ist alles futsch".
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Nachgerückt aus einem traurigen Grund: Johannes F. Kretschmann hat Ende Januar 2025 für die verstorbene Abgeordnete Stephanie Aeffner die Mitgliedschaft im Bundestag erworben.
Egal, es ist eh ein bewegter Tag. Kretschmann, 46, wohnte an diesem Dienstag der letzten Bundestagssitzung dieser Legislatur bei; nicht auf der Besucher- oder Pressetribüne, sondern unten als Abgeordneter. Dies ist er erst seit Ende Januar. Und bald dann nicht mehr. Kretschmann rückt für die letzten Momente nach, und zwar für die plötzlich verstorbene Abgeordnete Stephanie Aeffner. "Wir sind alle geschockt", sagt er, "meine Anwesenheit hier hat einen unglaublich traurigen Grund". Nur: Ende Januar standen wichtige Abstimmungen an, da war der Antrag der Unionsfraktion zur Migration und zwei Tage darauf das "Zustrombegrenzungsgesetz", letzteres wurde abgelehnt, unter anderem von der Grünen-Fraktion und von Kretschmann.
Vom Kulturschaffenden zum Abgeordneten auf Zeit
"Als ich vom Todesfall hörte, brauchte ich eine Weile, bis ich dachte: Da kann was auf mich zukommen", erinnert er sich. Mit dem Bundestag hatte er eigentlich längst abgeschlossen. Zwar hatte Kretschmann 2021 kandidiert, "nach der Prognose war ich noch drin", aber am Ende reichte der Landeslistenplatz doch nicht für den Einzug, und er blieb Vorsitzender der Grünen-Kreistagsfraktion im baden-württembergischen Sigmaringen, freiberuflicher Kulturschaffender und ehrenamtlicher Dialektberater der Landesregierung. Nun also versieht er seinen Dienst, für seine Partei, für das Parlament, für die Demokratie. Und hat seine beruflichen Termine für ein paar Wochen nach hinten verschoben, sein Bühnenprogramm "Schwäbisch vom Feinschda" und seine Besuche von Schulklassen.
„Der Schuh passt mir. Meine Rede war ein schöner Moment, das waren gute drei Minuten.“
Also blieb er heute im Plenarsaal ganz bis zum Schluss der Debatte. Statt eines Mehrzimmerbüros hat er einen Raum bezogen, mit einer Referentin zur Hilfe. "Das lief alles wie am Schnürchen", sagt er, "auch in der Fraktion bin ich herzlich empfangen worden". Selbst eine Rede hielt er, und zwar zur Landwirtschaft, eine Erwiderung auf einen Unionsantrag: "Bei dem wurde Klimaschutz mit keinem Wort erwähnt", sagt er, "dabei ist es doch offensichtlich, dass er nicht als Hemmnis für wirtschaftliche Entwicklung im Agrarwesen verstanden werden darf, sondern als Lösung".
Das Treiben im Plenarsaal sei ihm vorgekommen wie bei einem Fußballspiel; "eine aufgeregte und hitzige Stimmung", sagt er mit Blick auf die Reden rund um das Abstimmungsverhalten, bei dem Abgeordnete der AfD gemeinsam mit welchen von Union, FDP und BSW votierten. "Solche Beschimpfungen bei Reden kenne ich aus dem Kreistag nicht." Aber er könne sich vorstellen, dass es im Bundestag ansonsten entspannter zugehe. "Gut fand ich auch, dass die meisten Reden frei vorgetragen wurden. Nur das Niveau hätte etwas spritziger und origineller sein können."
Kretschmann engagiert sich im Ländle für den Dialekt
Kretschmann ist Sohn eines Lehrerelternpaars, sein Vater sattelte irgendwann um und ist heute Ministerpräsident in Stuttgart. Der Junior studierte nach dem Abitur in Berlin Religionswissenschaft, Rumänistik und Linguistik, zog irgendwann ins Ländle zurück. Heimatverbunden ist er. Spielt Waldhorn in einer Musikkapelle und war 2023 Schützenkönig beim Königsschießen des Schützenvereins Laiz. Wichtig ist ihm das Engagement für die Mundart. "Dialekt ist oft das wichtigste, einzige oder letzte Band zur Heimat, oder gar die Heimat selbst", steht auf seiner Website. "Wenn sein Gebrauch schwindet, kann er aussterben wie eine Pflanzenart."
Dass sein Stelldichein im Bundestag so kurz ist, schmerze ihn ein kleines bisschen. "Der Schuh passt mir", sagt er, "meine Rede war ein schöner Moment, das waren gute drei Minuten". Aber nun ziehe er in den Wahlkampf - für den schon feststehenden Kandidaten seiner Partei im Wahlkreis.
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