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Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch, während CDU-Chef Friedrich Merz am Rednerpult spricht.

Letzte Debatte vor dem Urnengang : Sie schenken sich nichts

Migration, Energiewende oder Sozialpolitik - in der letzten Debatte vor der Bundestagswahl zeigen sich nochmals tiefe Gräben zwischen den Parteien.

12.02.2025
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4 Min

Nach einer letzten hitzigen Debatte ist es die Bundestagspräsidentin, die an etwas Grundlegendes erinnert: Die Bereitschaft zu Kompromissen, zum Brückenbauen. "Ich bin der festen Überzeugung: Unsere freiheitliche Demokratie kann für die meisten Probleme der Menschen Lösungen finden", sagte Bärbel Bas (SPD) am Dienstag in der planmäßig letzten Sitzung des Bundestags vor der Wahl am 23. Februar.

Analyse des Wahlkampfs

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Zuvor hatten sich in einer dreieinhalb Stunden andauernden Vereinbarten Debatte "zur Situation in Deutschland" unter anderem die Kanzler- und Spitzenkandidatinnen und -kandidaten einen teils heftigen Schlagabtausch geliefert. Migration, Energiewende, Wirtschaftsflaute, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik, die Unterstützung der Ukraine - es sind die kontroversen Themen des Wahlkampfs, der nach dem Bruch der Ampelkoalition im November nun vorzeitig und im Winter stattfindet.

Kanzler Scholz wirft Herausforderer Merz “Zockerei” vor

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warf seinem Herausforderer im Rennen um das Kanzleramt vor, mit seinen Migrationsplänen die europäische Integration zu gefährden. "Friedrich Merz tritt an, Europa zu Grabe zu tragen." Damit stelle der Unionsfraktionschef und CDU-Vorsitzende auch das "stolze Erbe" früherer CDU-Kanzler wie Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel infrage. Im Umgang mit der AfD warf der Kanzler Merz "unverantwortliche Zockerei" vor. Damit zielte Scholz auf eine Abstimmung Ende Januar, bei der die Union auch mit den Stimmen der AfD einen Fünf-Punkte-Plan zur Verschärfung der Regeln bei der Migration durch den Bundestag gebracht hatte. "Die Bürgerinnen und Bürger wissen jetzt: Wenn Friedrich Merz den Kompromiss unter Demokraten zu schwierig findet, dann macht er gemeinsame Sache mit denen da von der AfD", sagte Scholz.

Scholz verwies in seiner Bilanz zu drei Jahren Ampelkoalition auf die Belastungen durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Probleme der Wirtschaft, die Inflation und die soeben von US-Präsident Donald Trump angekündigten Strafzölle. "Der Wind weht von vorn. Und die Wahrheit ist: Das wird sich in den kommenden Jahren nicht grundlegend ändern", sagte der SPD-Kanzlerkandidat. "Was ich den Bürgerinnen und Bürgern verspreche, ist: Wir kommen da gemeinsam durch! Wir kommen da durch, wenn wir jetzt nicht falsch abbiegen."

Für CDU-Chef Merz hat die Ampel ein "schieres Desaster" auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen

Merz wies Spekulationen über eine Zusammenarbeit mit der AfD zurück. "Es kommt nicht infrage, und dabei wird es natürlich auch bleiben", sagte er. An Scholz gerichtet sagte er: “Es ist ein Popanz, den Sie hier aufbauen, und Sie wissen natürlich, dass es so ist.”


Portraitfoto der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas
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„Ich bin der festen Überzeugung: Unsere freiheitliche Demokratie kann für die meisten Probleme der Menschen Lösungen finden. “
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD)

Merz warf der Bundesregierung vor, ein "schieres Desaster" auf dem Arbeitsmarkt zu hinterlassen. Scholz dürfte das Bundeskanzleramt beim Stand von drei Millionen Arbeitslosen verlassen, fast 400.000 mehr als zu Beginn der Amtszeit. Zudem habe es in dieser Zeit 50.000 Unternehmensinsolvenzen gegeben und einen Kapitalabfluss in einer Größenordnung von 100 Milliarden Euro im Jahr. "Sie nehmen offensichtlich die Wirklichkeit überhaupt nicht mehr wahr." Auch die Kehrtwende von Scholz in der Sicherheitspolitik, die "Zeitenwende" nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, sei nicht ausreichend umgesetzt worden. "Es sind Zeiten ohne Wende geblieben", sagte der Kanzlerkandidat der Union.

Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, dass Union, FDP und AfD die Klimaziele infrage stellten. Die Bundestagswahl am 23. Februar sei deshalb eine Richtungsentscheidung. "Wir können kein Land sein, das von Leuten regiert wird, die Sorge haben, Probleme anzufassen." Wenn Deutschland sich vor der Verantwortung drücke, werde Europa seine Ziele nicht einhalten können. "Wenn Europa umfällt, dann ist es vorbei mit dem globalen Klimaschutz", sagte der Kanzlerkandidat der Grünen.

Ex-Finanzminister Lindner beklagt "Zügellosigkeit bei Staatsausgaben"

Christian Lindner (FDP) forderte die Einhaltung der Schuldenbremse auch in der kommenden Legislaturperiode. Das Problem Deutschlands sei "die Zügellosigkeit bei Staatsausgaben", sagte der FDP-Vorsitzende und frühere Finanzminister. Er forderte darüber hinaus, den "weltweit einmaligen Sonderweg" beim Klimaschutz zu beenden, also Deutschland nicht schon 2045 klimaneutral zu machen, sondern erst 2050 wie in Europa vorgesehen. “Der schwarz-rot-grüne Weg, den unser Land gegenwärtig beschreitet, wird nur dazu führen, dass unser Land 2045 ein Industriemuseum sein wird.”

Glossar zur Wahl

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Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel warf Merz "Wählertäuschung" vor. "Sie werden nichts von Ihren Versprechungen umsetzen können mit Grün-Rot." Nur mit der AfD werde eine "Migrationswende, die Wirtschafts-, Energie- und Steuerwende und das Umsteuern in der Gesellschaftspolitik" möglich sein. Weidel bekräftigte AfD-Positionen nach einem Ausstieg aus dem Euro und einem Ende der Energiewende.

Neuer Bundestag soll mit 630 Abgeordneten deutlich kleiner werden

Heidi Reichinnek (Die Linke) beklagte eine "katastrophale" und "desaströse" Bilanz der Ampel in der Wohn- und Sozialpolitik. Sie wandte sich gegen "Steuergeschenke für Superreiche" und "Schikane" gegen Bürgergeldempfänger.

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht warf den Parteien der Ampel und der Union Planlosigkeit vor. "Ihr gemeinsames Erbe ist ein tief gespaltenes Land." CDU-Chef Merz werde bei einem Wahlsieg "weniges anders, kaum etwas besser und Wesentliches sogar noch schlechter machen" als Kanzler Scholz.

Über die Zusammensetzung des neuen Bundestages entscheiden nun die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger. Unabhängig vom Ausgang der Wahl steht bereits fest, dass der nächste Bundestag kleiner sein wird als der bisherige. Das neue, von der Ampel-Koalition beschlossene Wahlrecht begrenzt die Größe auf 630 Abgeordnete. Bei der Wahl 2021 waren noch 736 Abgeordnete in den Bundestag eingezogen.

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