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Arktis-Experte Michael Paul im Interview : "Eine Eskalation ist nicht auszuschließen"

Die USA, Russland und China ringen um Einfluss in der Arktis. Weshalb die Region zum geopolitischen Hotspot wird, erklärt der Politikwissenschaftler Michael Paul.

10.04.2025
True 2025-04-11T16:11:50.7200Z
7 Min

Herr Paul, seit US-Präsident Donald Trump wieder im Amt ist, hat er Grönland im Visier: Immer wieder droht er die offiziell zum Königreich Dänemark gehörende Arktisinsel zu annektieren - sogar einen Militäreinsatz schließt er nicht aus. Das empört, aber überraschend kommt sein Interesse an Grönland nicht, oder?

Michael Paul: Nein, Trump tritt damit in die Fußstapfen vieler Präsidenten vor ihm, die Grönland erwerben wollten, immer aus denselben Gründen...

…die wären? Was macht Grönland für die USA so interessant?

Michael Paul: Die geostrategische Lage und die Ressourcen. Schon seit dem 19. Jahrhundert, seit sie Alaska im Jahr 1867 vom russischen Zarenreich gekauft haben, gibt es in den USA Bestrebungen, auch Grönland zu kaufen. Von den Gold- und Erdölvorkommen, die man später entdeckte, ahnte man zu dieser Zeit nichts. Vielmehr hatten die jungen Vereinigten Staaten von Amerika damals schon einen geopolitischen Ansatz, den ganzen amerikanischen Kontinent zu dominieren, inklusive dem späteren Kanada. Grönland, das zeigt der bloße Blick auf die Landkarte, galt als Bastion vor dem amerikanischen Kontinent.

Schauen wir auf die Ressourcen, die Begehrlichkeiten wecken: Grönland soll über ein großes Potenzial an kritischen Rohstoffen verfügen.

Michael Paul: Genau. Dort finden sich eine Vielzahl von Rohstoffen, die die EU-Kommission als kritische Rohstoffe eingestuft hat, darunter Seltene Erden, Gold, Platin und Lithium.

Foto: photothek
Michael Paul
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der promovierte Politikwissenschaftler publiziert schwerpunktmäßig zu Fragen der internationalen Sicherheit, unter anderem mit Blick auf die Arktis.
Foto: photothek

Durch den Klimawandel und das tauende Eis werden die Lagerstätten von Rohstoffen zugänglich: Aber leicht zu gewinnen sind sie trotzdem nicht. Experten stellen die Sinnhaftigkeit des Abbaus dort grundsätzlich in Frage. Welche Schwierigkeiten stellen sich?

Michael Paul: Das erste Problem ist augenfällig: Grönland ist eine Insel, und noch dazu ohne Infrastruktur: Es gibt weder Fernstraßen noch Eisenbahnverbindungen. Der einzige Industriehafen befindet sich in Nuuk. Um Rohstoffe abbauen zu können, müssen also zunächst Häfen und Verkehrswege gebaut werden. Noch dazu Unterkünfte für die Facharbeitskräfte, die es ebenfalls nicht in genügender Anzahl gibt. Das heißt: Sie müssen von außen angeworben und versorgt werden. Das alles ist sehr aufwändig und teuer.


„Es geht um Rohstoffe und die Kontrolle über strategisch wichtige Seewege.“
Politikwissenschafter Michael Paul

Besonders unter den herrschenden Klimabedingungen...

Michael Paul: Ja, die Klimabedingungen sind extrem: Die Temperaturen fallen zeitweise auf 40 Grad unter null. Bis zu 90 Tage, von November bis Februar, gibt es kein Tageslicht. Das sind Bedingungen, unter denen sich nicht oder nur sehr schwer arbeiten lässt. Ein riesiges Problem ist auch das schmelzende Eis.

Aber ermöglicht das schmelzende Eis nicht erst, an die Rohstoffe zu gelangen?

Michael Paul: Schon, aber wenn man die dafür nötige Infrastruktur auf Permafrostböden baut, läuft man Gefahr, dass sie bei steigenden Temperaturen auftauen und nachgeben. Genau das lässt sich bereits an der russischen Küste beobachten, wo zu Sowjetzeiten große Städte auf Permafrostboden gebaut wurden. Dort sacken Straßen ab, Häuser drohen einzustürzen

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Trumps Grönlandfantasien lenken die Aufmerksamkeit auf einen geopolitischen Hotspot: die Arktis. Nicht nur die USA, sondern auch Russland und andere Anrainer erheben Ansprüche. Der Wettlauf um Bodenschätze und strategische Schifffahrtswege ist in vollem Gange. Wie ist die rechtliche Situation - wem gehört der Nordpol?

Michael Paul: Grundsätzlich erst einmal niemanden. Am Nordpol gibt es kein Land, nur Eis auf hoher See. Anders als für die Antarktis gibt es für die Nutzung der Arktis keinen völkerrechtlichen Vertrag. Stattdessen greift das Seerechtsübereinkommen von 1982. Es regelt unter anderem die Abgrenzung der verschiedenen Meereszonen, die Nutzung etwa durch Schifffahrt und Fischerei und auch den Meeresbodenbergbau. Die Festlandsockelkommission der Vereinten Nationen, die Ansprüche auf den Meeresboden zu prüfen hat, arbeitet aber sehr langsam. Erst kürzlich wurden die von Russland bereits im Jahr 2001 erhobenen Ansprüche behandelt. Von einem Wettlauf zu sprechen, ist übertrieben. Es können noch viele Jahre vergehen, bis die Frage geklärt ist.

Im Streit der Arktis-Anrainerstaaten Russland, Kanada und Dänemark geht es um die Reichweite des jeweiligen Festlandsockels. Warum ist das relevant?

Michael Paul: Nach dem Seerechtsübereinkommen dürfen Staaten innerhalb von 200 Seemeilen vor ihrer Küste allein fischen und nach Rohstoffen bohren. Wenn ein Staat beweisen kann, dass sein Festland unter Wasser über diese 200 Meilen hinausgeht, kann er diese Gebiete zusätzlich beanspruchen. Russland behauptet, der sogenannte Lomonossow-Rücken, ein Gebirge am Meeresboden im Bereich des Nordpols, sei mit seinem Festlandsockel verbunden. Kanada ist überzeugt, das Unterwassergebirge gehöre zu Nordamerika. Dänemark meint hingegen, es sei die Verlängerung Grönlands. Alle wollen so ihre Claims für den Tiefseebergbau sichern. Neben Öl und Gas haben sie es vor allem auf polymetallische Knollen abgesehen, die Mangan, Kupfer, Nickel und Kobalt enthalten.

Obwohl kein direkter Anrainer, zeigte auch China zuletzt deutlich seine Ambitionen in der Arktis. Im letzten Jahr demonstrierte es mit drei Eisbrechern seine Präsenz. Worum geht es der Volksrepublik?

Michael Paul: China hat als eine aufsteigende Weltmacht erkannt, dass es sich nur als solche etablieren kann, wenn es die Weltmeere kontrollieren kann. Deshalb hat es die inzwischen größte Flotte der Welt und versucht, auf den wichtigsten Seewegen präsent zu sein. Die Passagen durch die Arktis spielen eine besondere Rolle, weil sie Asien und Europa auf kürzere Weise verbinden können als die üblichen Routen. Das Nordpolarmeer gilt als dritter Korridor der Seidenstraße.

Wie arrangiert sich Russland mit den chinesischen Ambitionen? Es nimmt bislang eine Vormachtstellung in der Arktis ein...

Michael Paul: Russland verfügt in der Arktis über den größten Anteil an Territorium - und Bodenschätzen. Etwa 90 Prozent des russischen Gases und 60 Prozent des Erdöls werden dort produziert. Die Arktis ist also von elementarer geopolitischer Bedeutung für Russland und seine Rolle als Großmacht. Kooperationen mit China, wie es sie inzwischen im Militärbereich oder in der Nördlichen Seeroute eingegangen ist, wären noch vor fünf Jahren undenkbar gewesen. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland jedoch geschwächt; Nutznießer ist China.

Foto: picture alliance / Zoonar

Ein Eisbrecher bahnt sich seinen Weg durch die Arktis: Die geopolitische Bedeutung der Polarregion ist stark gestiegen.

Die USA reagieren gereizt auf die arktischen Ambitionen Chinas. Jahrzehntelang jedoch haben sie sich selbst wenig für die Arktis interessiert - und wenig investiert. Wie steht es um die "starke arktische Sicherheitspräsenz", die Präsident Trump während seiner ersten Amtszeit angekündigt hat, um US-Interessen und natürliche Ressourcen schützen?

Michael Paul: Die USA waren lange eine widerwillige Arktismacht. Erst das klimabedingte Abschmelzen des Meereseises, die Öffnung der arktischen Seewege und die sich verschärfende Rivalität zwischen den Großmächten haben die Wahrnehmung des Nordpolargebietes verändert. Der frühere US-Außenminister Mike Pompeo sprach 2019 von einer "Arena" im Kampf um Macht und Einfluss. Die Eisbrecher, die Trump für eine starke arktische Sicherheitspräsenz 2020 angekündigt hat, lassen dennoch auf sich warten. Aktuell haben die USA nur einen einzigen Eisbrecher im Einsatz. Russland hat 40 solcher Schiffe. Sie sind nötig, um eine ständige Präsenz in der Arktis zu gewährleisten.


„Russland kann sich im Augenblick kein weiteres Schlachtfeld leisten.“
Politikwissenschaftler Michael Paul

Russland hat in der Arktis massiv aufgerüstet. Hunderte Militärbasen wurden seit 2007 auf- und ausgebaut, Mittelstreckenraketen und Kampfflugzeugen stationiert, die bis Grönland und Alaska reichen. Ist es vor diesem Hintergrund nicht in gewisser Weise nachvollziehbar, dass Donald Trump meint, die USA bräuchten Grönland für ihre nationale Sicherheit?

Michael Paul: Nein. Das US-Militär unterhält hier bereits seit 1951 mit der Thule Air Base (heute Pituffik Space Base) einen Stützpunkt, der tatsächlich äußerst wichtig für die USA ist. Von der Satellitenbodenstation aus werden Raketenstarts anderer Länder erfasst, auch Russland, der Nahe Osten und der Weltraum werden überwacht. Wenn Trump aber sicherheitspolitische Gründe für eine Übernahme Grönlands ins Feld führt, dann ist das nichts anderes als eine Versicherheitlichung.

Das bedeutet?

Michael Paul: Dass Trump suggeriert, die USA hätten ohne Grönland ein Sicherheitsproblem, soll eine völkerrechtswidrige Annexion legitim erscheinen lassen. Dabei ist das unsinnig und unnötig: Weder ist Grönland bedroht, noch geht von Grönland eine Bedrohung aus. Zudem räumt ein Abkommen mit Dänemark, das Grönland 2004 auch unterschrieben hat, den Amerikanern bereits seit 1951 sehr weitgehende Rechte ein. De facto können sie das grönländische Territorium schon heute zur eigenen Verteidigung nutzen, wie sie wollen.

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Die europäischen Arktisanrainerstaaten haben seit Russlands Überfall auf die Ukraine massiv ihre Verteidigungsausgaben erhöht, die Nato hält Manöver in der Arktis ab: Wie groß ist das Risiko, dass die Auseinandersetzungen eskalieren? Auslöser könnte Spitzbergen sein: Experten meinen, die zu Norwegen gehörende arktische Inselgruppe könnte zum Testfall für die Nato-Beistandspflicht werden.

Michael Paul: Ja, die Insel gilt als Achillesferse der Nato. Die jüngst erhobenen Ansprüche auf den Archipel sind jedoch vor allem eins: eine Provokation. Russland kann sich im Augenblick kein weiteres Schlachtfeld leisten. Dennoch lässt sich eine Eskalation langfristig nicht ausschließen - die Arktis ist für Russland zu wichtig, als dass es zum Beispiel akzeptieren würden, wenn die USA Grönland annektierten. Das würde Russland als Bedrohung sehen. Ein Grund, weshalb die Grönländer einen Rüstungswettlauf vermeiden wollen.

Die Arktis galt seit dem Ende des Kalten Krieges als Oase des Friedens und der internationalen Kooperation. Seit dem Beginn des Ukrainekrieges liegt die Zusammenarbeit im Arktischen Rat, in dem alle acht Arktis-Anrainer vertreten sind, aber mit Russland brach. Sehen Sie Chancen, Kooperationen wiederzubeleben?

Michael Paul: Aufgrund der extremen Bedingungen ist die Arktis ein Ort, der eigentlich Zusammenarbeit erfordert. Anknüpfungspunkte finden sich eine Reihe etwa im Bereich der künftigen Schifffahrt. Doch jeder Versuch mit Russland zu kooperieren ist sinnlos, bevor nicht der Krieg beendet ist. Für die Amerikaner und die Europäer hingegen bietet die unsicherer gewordene Nordflanke der Nato neue Chancen: Beide Seiten sind interessiert, die Region konfliktfrei zu halten - die Möglichkeit zur Wiederannäherung, selbst unter Trump, besteht.

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