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Arbeitsprogramm der Kommission : Kampf gegen Wildwuchs von EU-Regulierungen

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen stellt ihr Arbeitsprogramm für mehr Wettbewerbsfähigkeit und weniger Bürokratie vor. Das sieht Brüssels neue Agenda vor.

13.02.2025
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4 Min

Die Europäische Kommission stellt gut zwei Monate nach Beginn ihrer neuen Amtszeit die Weichen für einen deutlichen Kurswechsel: Mehr Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie und ein neuer Sicherheits-Schwerpunkt sollen künftig im Zentrum ihrer Politik stehen. Angekündigt hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Schwenk schon im Juli in ihrer Bewerbungsrede zur Wiederwahl, nun machen sie und ihr Team verbindlichere Zusagen: Die Kommission legte am 12. Februar ein entsprechendes Arbeitsprogramm für dieses Jahr vor und verband dies mit Festlegung, in den nächsten fünf Jahren die EU-Verwaltungsvorschriften zu vereinfachen, den Bürokratieaufwand zu verringern und die Umsetzung der Regeln zu erleichtern.

Investitionslücke von 800 Milliarden Euro 

Die Brüsseler Richtungsänderung ist eine Reaktion auf gleich zwei Problemzonen europäischer Politik: Immer lauter klagen die Mitgliedstaaten und dort vor allem die Wirtschaft über einen belastenden Wildwuchs von EU-Regulierungen, der in der vorangegangenen Legislaturperiode durch die zahlreichen Umwelt- und Klimaschutzgesetze des Green Deal noch einmal kräftig befördert worden sei. 

Zudem hat ein Bericht über die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Europas die Brüsseler Politik aufgerüttelt: Der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hatte im vergangenen September in einem Report schonungslos die wirtschaftlichen und institutionellen Schwächen des vereinten Europas offengelegt und gewarnt, ohne Umsteuern falle die EU wirtschaftlich immer weiter hinter die USA und China zurück.

Foto: EU-Kommission

Die Wettbewerbsfähigkeit der EU ist ein zentrales Wahlversprechen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Noch ist unklar, wie die von Draghi ausgemachte Investitionslücke von 800 Milliarden Euro geschlossen werden soll, von der Leyen und ihr Team machen aber deutlich, dass sie für ihren Verantwortungsbereich die Probleme zumindest verstanden haben: In einem sogenannten Wettbewerbskompass hat die Kommission bereits Wege skizziert, wie die europäische Wirtschaft gegen die globale Konkurrenz bestehen könnte. Innovation, Dekarbonisierung und Sicherheit sind als Handlungsschwerpunkte festgelegt. Das Ziel: Europa solle sowohl zu dem Ort werden, an dem Zukunftstechnologien, Dienstleistungen und saubere Produkte erfunden, produziert und gehandelt werden, doch soll es zugleich auch zum ersten klimaneutralen Kontinent werden.


„Der Kompass macht aus den hervorragenden Empfehlungen des Draghi-Berichts einen Fahrplan.“
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

Es ist allerdings seit Jahrzehnten eine beliebte Praxis der EU-Spitzen, Strategien für ehrgeizige Visionen zu verkünden, die in der Praxis oftmals folgenlos bleiben – legendär ist die krachend gescheiterte Lissabon-Strategie von 2000, mit der die EU bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt“ werden sollte. Doch von der Leyen wischt Zweifel beiseite: „Europa hat alles, was es braucht, um bei diesem Rennen zu gewinnen“, sagt sie unter Hinweis auf gut ausgebildete Arbeitskräfte, Kapital, den großen Binnenmarkt und die soziale Infrastruktur. 

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Um den „Innovationsmotor wieder ans Laufen zu bekommen“, sollen zum Beispiel Start-up-Unternehmen besser gefördert werden, auch durch die gezielte Vereinfachung von Vorschriften etwa im Wirtschafts- und Arbeitsrecht. Gleichzeitig will Brüssel die industrielle Führungsrolle in wachstumsstarken Sektoren mit mehr Forschungs- und Entwicklungsförderung erobern. Für die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz sind unter anderem „KI-Gigafabriken“ ins Auge gefasst, Aktionspläne sollen auch für fortgeschrittene Werkstoffe, Quanten- und Biotechnologien, Robotik und Weltraumtechnologien vorgelegt werden. In einem „Deal für eine saubere Industrie“ wird ein wettbewerbsorientierter Ansatz für die Dekarbonisierung skizziert: Die EU soll energieintensive Industrien halten, zugleich aber saubere Technologien und neue kreislauforientierte Geschäftsmodelle etwa durch beschleunigte Genehmigungsverfahren vorantreiben. Ein weiterer Aktionsplan schließlich soll dazu beitragen, die Energiepreise zu senken.

Draghi-Bericht gilt nun als Fahrplan für die Europäische Union

„Der Kompass macht aus den hervorragenden Empfehlungen des Draghi-Berichts einen Fahrplan“, sagt von der Leyen. Was den Bürokratieabbau anbelangt, verspricht sie „eine beispiellose Anstrengung“: Für große Unternehmen soll ein Viertel der bürokratischen Hürden abgebaut werden, für kleine und mittlere Unternehmen sogar ein Drittel der Vorschriften entfallen. Noch in diesem Jahr werden unter anderem in drei sogenannten Omnibus-Paketen Umwelt- und Investitionsregeln überprüft und verschlankt. Die Brüsseler Behörde will auch den mehrjährigen Haushalt der EU ab 2028 vereinfachen und mit weniger Zweck- und Programmbindungen flexibler machen.

Die umfangreichen Ankündigungen finden vor allem in der Wirtschaft überwiegend Zustimmung, von einem überlebenswichtigen Sinneswandel ist dort die Rede. Umweltschützer befürchten zwar, dass auch Standards gesenkt werden könnten, doch erkennen sie an, dass die Klimaschutzziele der Union nicht angetastet werden. Die ersten konkreten Schritte für weniger Regulierung finden dagegen ein geteiltes Echo im Parlament. Der Chef der CDU/CSU-Gruppe, Daniel Caspary, meinte, die Kommission setze die richtigen Schwerpunkte, das angekündigte Omnibus-Verfahren zum Bürokratieabbau sei essenziell.

Kritik von Liberalen und Grünen

Foto: EP

Beklagte eine „Flut neuer Gesetze": Die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn sagt, es sei unklar, wie Bürokratieabbau erreicht werden solle, wenn es keine substanzielle Deregulierung gebe.

Die FDP-Abgeordnete Svenja Hahn beklagte dagegen eine „Flut neuer Gesetze“ mit 45 neuen Initiativen und 123 offenen Gesetzesvorhaben aus früheren Jahren. Mutlos wolle die Kommission das Problem der Überregulierung mit noch mehr Regulierung lösen. Die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini, Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, warnte indes, das hohe Schutzniveau für Verbraucher und die Umwelt dürfe nicht heruntergeschraubt werden.

Der Autor ist EU-Korrespondent der Funke Mediengruppe.

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