Piwik Webtracking Image

Kanzler Scholz im Bundestag : Regierungserklärung gerät zur Wahlkampfrede

Statt über den bevorstehenden EU-Gipfel zu sprechen, kündigt Bundeskanzler Olaf Scholz weitere Ukraine-Hilfen an - und einen Industriepakt für Deutschland.

18.10.2024
True 2024-10-18T12:03:49.7200Z
4 Min

Beim Gipfeltreffen zum Europäischen Rat stand das Thema Migration an erster Stelle. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ das Thema in seiner Regierungserklärung im Bundestag jedoch komplett aus. Stattdessen kündigte er in seiner Erklärung eine industriepolitische Offensive an. Noch vor Ende des Monats wolle er Unternehmensvertreter, Gewerkschaften und Verbände zu einem Gipfel ins Kanzleramt einladen, um über Wege aus der Wirtschaftsflaute zu sprechen. "Das, was dabei rauskommt, werde ich diesem Parlament vorschlagen, auch auf den Weg zu bringen", sagte der Kanzler.

Foto: picture alliance / dts-Agentur

CDU-Chef Friedrich Merz warf Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag vor, statt einer Regierungserklärung eine Wahlkampfrede gehalten zu haben.

Mit Blick auf den EU-Gipfel unterstrich Scholz seine Bereitschaft, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über einen gerechten Frieden in der Ukraine sprechen zu wollen. Es bleibe aber bei klaren Prinzipien: Es werde niemals Entscheidungen geben "über die Köpfe der Ukraine hinweg und niemals ohne Abstimmung mit unseren engsten Partnern". Zugleich erinnerte der Kanzler daran, dass auch unzählige russische Soldaten jeden Tag "Opfer des imperialistischen Wahns des russischen Präsidenten" würden.

Migrationspolitik dominierte EU-Gipfel

In Brüssel stand dann die Diskussion um die europäische Migrationspolitik im Zentrum. Obwohl sich die Staats- und Regierungschefs im Mai auf eine EU-Asylreform geeinigt hatten, gehen Mitgliedstaaten wie Italien und Polen eigene Wege.

Italien hat an diesem Mittwoch mit der Überführung von Migranten in Aufnahmezentren ins Nicht-EU-Land Albanien begonnen. Polen will mit einem neuen Gesetz das Recht auf Asyl für irreguläre Migranten an der Grenze zu Belarus vorübergehend aussetzen. Polen und die EU beschuldigen Präsident Putin und seinen Verbündeten, den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um Druck auf den Westen auszuüben.

Selenskyj bittet um Unterstützung für seinen Friedensplan 

Keine Einigkeit gab es auf dem Gipfel auch in der Frage, wie die EU mit dem Friedensplan von Präsident Wolodymyr Selenskyj umgehen will, den er am Mittwoch im ukrainischen Parlament erst präsentiert hatte und einen Tag später in Brüssel erläuterte. Viele seiner Forderungen - etwa eine Einladung zum Nato-Beitritt und keine Beschränkungen für westliche Waffen - gelten aber als unrealistisch, da weder die USA noch die europäischen Partner dem zustimmen.


„Herr Bundeskanzler, es wird Zeit, dass Sie, dass wir unsere Angst überwinden.“
Friedrich Merz (CDU)

Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) verlangte von Kanzler Scholz, sich in Brüssel für einen härteren Kurs gegen Präsident Putin einzusetzen. Direkt an Scholz gerichtet sagte Merz im Parlament: "Herr Bundeskanzler, es wird Zeit, dass Sie, es wird auch Zeit, dass wir unsere Angst überwinden vor Putin, um die Grausamkeiten in der Ukraine jetzt wirklich gemeinsam zu beenden." Es sei nicht gelungen, Putin die Grenzen aufzuzeigen, vielmehr werde es für die Ukraine von Woche zu Woche schwieriger.

Grüne kritisieren Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung 

Katharina Dröge, Co-Fraktionschefin der Grünen, kritisierte vor allem die Wirtschaftspolitik der CDU-geführten Bundesregierungen der Jahre 2005 bis 2021. In der Energiepolitik seien gravierende Fehler gemacht worden. So habe die Regierung von Angela Merkel 2015 wichtige Teile der Energieinfrastruktur an Russland verkauft. Im Jahr 2021 habe der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nicht verhindert, dass Russland es unterlassen habe, die deutschen Gasspeicher zu füllen. Putin habe Deutschland "maximal abhängig" gemacht, um "uns maximal empfindlich und verwundbar zu machen", sagte sie. 

FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte von Scholz, sich auf EU-Ebene für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit einzusetzen. "Unsere geopolitische Stärke in den kommenden Jahren und Jahrzehnten hängt unmittelbar mit unserer ökonomischen Stärke zusammen", sagte Dürr. Es sei ein Beitrag für Frieden in der Welt und in Europa, "wenn Europa und Deutschland ökonomisch stark sind".

Lars Klingbeil (SPD) konzentrierte sich auf den Industriepakt des Kanzlers. Er sei Scholz "dankbar" dafür: "Er kämpft um jeden Industriearbeitsplatz, er kämpft um jeden Industriestandort in diesem Land", sagte der SPD-Vorsitzende. Das Land befinde sich derzeit in einer Umbruchphase. "Das alles ist viel auf einmal." Man dürfe aber weder den Kopf in den Sand stecken noch "billig Sündenböcke" suchen.

Linke und BSW warnen vor “Aufrüstung” 

Vonseiten der AfD-Fraktion sowie den Gruppen Die Linke und BSW gab es Warnungen vor weiteren Waffenlieferungen durch die Bundesregierung.

Co-Fraktionschef Tino Chrupalla (AfD) forderte: "Keine Lieferungen deutscher Waffen an irgendeine Kriegspartei." Scholz habe mit seiner "relativ besonnenen Art bezüglich der Lieferung weitreichender Waffen punkten können, und das im direkten Gegensatz zu einigen Stimmen aus Ihrer Koalition", sagte Chrupalla. Die Linie "der Kriegsverliebten verläuft mittlerweile quer durch dieses Hohe Haus". Das sei seiner Meinung nach "beschämend und gefährlich zugleich".


„Nötig sind Diplomatie und Verhandlungen und nicht die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen und Aufrüstung.“
Janine Wissler (Die Linke)

Auch Janine Wissler (Die Linke) kritisierte weitere Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete. "Nötig sind Diplomatie und Verhandlungen und nicht die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen und Aufrüstung", so Wissler.

Dafür bekam sie Unterstützung von Sahra Wagenknecht (BSW). Die frühere Linken-Politikerin nannte Scholz "einen Bundeskanzler, der sich seine Anweisungen für seine Politik aus Washington holt". Am Rande eines Nato-Gipfels sei "dann mal eben" die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen beschlossen worden. Die Ukraine brauche "nicht noch mehr Waffen und auch keine wahnwitzigen Siegespläne", sagte Wagenknecht in Anspielung auf den Friedensplan von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Sie plädierte für "einen Waffenstillstand" und "Friedensverhandlungen".

Mehr zum Thema

Die Deutschland-, EU- und NATO-Flaggen nebeneinander vor dem blauen Himmel
Schwerpunkte des Nato-Gipfels: Elefanten im Raum
Ukraine-Krieg, russische Atomdrohungen, Konfrontation mit China: Der Nato-Gipfel zum 75. Jubiläum steht im Zeichen sicherheitspolitischer Großkrisen.
Ein Buch mit einer Brille
Zwischen Globalisierung und Abschottung: Auf dem Weg in eine neue Zwischenkriegszeit
Die amerikanische Historikerin Tara Zahra schlägt in in ihrem Buch "Gegen die Welt" eine Brücke von den Jahren zwischen den Weltkriegen in die Jetztzeit.
Anträge von Linken und BSW: Bundestag streitet über Stationierung von US-Mittelstreckenraketen
Linke und BSW wollen eine neue Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland verhindern. Das BSW verlangt vorher eine Volksbefragung.