Krise in Georgien spitzt sich zu : Verfassungsrechtler sieht Georgien vor "Machtergreifung"
Während die Proteste nicht abreißen, fordert Präsidentin Salome Surabischwili EU-Unterstützung für Neuwahlen. Die prorussische Regierung festigt indes ihre Macht.
Er ist einer der führenden Verfassungsrechtler Georgiens, und er findet klare Worte: Georgien stehe eine "Machtergreifung" bevor, sagt Wachtang Chmaladse, Professor an der Universität Tiflis. "Wir müssen alle verfügbaren Mechanismen einsetzen, sie zu verhindern."
Georgiens Präsidentin Surabischwili drängte die EU vor dem Europaparlament, die demokratischen Kräfte in Georgien zu unterstützen.
Am 29. Dezember soll die noch amtierende Staatspräsidentin Salome Surabischwili ihr Amt übergeben. Ihr designierter Nachfolger, der ultrarechte Micheil Kawelaschwili, wurde am 14. Dezember von Angehörigen der Regierungspartei Georgischer Traum gewählt. Vertreter der Opposition boykottierten die Wahl, weil sie deren Rechtmäßigkeit anzweifeln. Schon die Parlamentswahlen am 26. Oktober waren in ihren Augen manipuliert, auch unabhängige Experten und internationale Wahlbeobachter sprachen von Wahlbeeinflussung durch die Regierung. Noch-Präsidentin Surabischwili insistiert dementsprechend, sie sei derzeit die einzige legitime Vertreterin Georgiens. Von Regierungsmitgliedern als "ausländische Agentin" diffamiert, wird sie von der Opposition und den westlichen Partnern unterstützt. Surabischwili hat angekündigt, das Präsidentenamt erst zu übergeben, wenn es einen legitimen Nachfolger gibt.
Ungarn und die Slowakei verhindern EU-Sanktionen
Im Europaparlament, vor dem sie am Mittwoch sprach, drängte Surabischwili die EU zu mehr Einsatz für Neuwahlen in ihrem Land. "Europa muss das Druckmittel finden, um zu handeln." Bislang haben sich die EU-Außenminister nur auf Einreisebeschränkungen für georgische Diplomaten und Regierungsvertreter einigen können. Sanktionen waren am Montag am Veto Ungarns und der Slowakei gescheitert. "Europa hat sich der Herausforderung bislang zur Hälfte gestellt", sagte Surabischwili und warnte vor einer "Russifizierung" Georgiens.
Wie die aussieht, war in den letzten Wochen bereits auf den Straßen der Hauptstadt Tiflis zu sehen. Zehntausende Menschen demonstrierten vor dem Parlament, nachdem die regierende Partei Georgischer Traum die Beitrittsgespräche mit der EU ausgesetzt hatte. Polizisten gingen mit voller Härte gegen sie vor. Laut Amnesty International wurden mehr als 80 Menschen mit schweren Verletzungen unter anderem am Kopf in Krankenhäuser eingeliefert. Polizei und Justiz würden benutzt, um friedliche Meinungsäußerungen zu unterdrücken, kritisiert die Organisation.
Die Regierungspartei hat die Gewaltenteilung bereits ausgehebelt
Tatsächlich hat die Regierungspartei in zwölf Jahren Amtszeit die Institutionen des Landes weitgehend mit ihren Leuten besetzt und die Gewaltenteilung ausgehebelt. Trotz der massiven Polizeigewalt halten die Proteste an. Allerdings scheinen die Demonstranten ihre Taktik geändert zu haben: Sie versammeln sich nun öfter dezentral und in kleineren Gruppen. Mitarbeiter von Krankenhäusern zogen vor das Gesundheitsministerium, Rentner demonstrierten mit Plakaten, auf denen stand: "Ich will nicht Babuschka genannt werden" oder "Meine Enkel sollen nicht in Russland leben". Aber auch die Polizei agiert inzwischen anders. Seit ein paar Tagen werden einzelne Oppositionsführer nachts geweckt und festgenommen.
Verbal ist die Situation längst eskaliert. Guram Matscharaschvili, Abgeordneter der rechtspopulistischen und europafeindlichen Partei "Kraft des Volkes", hat Surabischwili unverhohlen gedroht: "Wir hoffen, dass sie klug genug ist, den Palast freiwillig zu verlassen, damit es keine Bilder gibt, die peinlich für Georgien wären." Surabischwili tue alles, um Georgien international zu blamieren. Die Partei "Kraft des Volkes" ist in einer Liste mit dem Georgischen Traum ins Parlament eingezogen. Während die Oppositionsparteien ihre Mandate nicht angenommen haben, bilden die acht Abgeordneten um Matscharaschvili nun eine Art Pseudo-Opposition. Um sie zu stärken, hat das Parlament die Anzahl der Mandate, die eine Partei für den Fraktionsstatus braucht, von zwölf auf acht gesenkt.
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Weiterhin demonstrieren Tausende Menschen in Georgien gegen die prorussischen Regierung. Die geht inzwischen mit zunehmender Härte gegen Oppositionelle vor.
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Bei der Parlamentswahl in Georgien hat die Wahlkommission die Regierungspartei zur Siegerin erklärt. Doch am Wahlergebnis gibt es Zweifel von verschiedensten Seiten.
Auch der designierte neue Staatspräsident Kawelaschwili gilt als Hardliner. In einem einstündigen Interview mit dem von der Regierung kontrollierten Fernsehsender Imedi ging der Ex-Fußballprofi auf Konfrontationskurs zur EU. "Wir haben nichts gegen Europäer", ließ er die Bevölkerung wissen, "wir verteidigen uns einfach. Für Georgien ist es nicht neu, dass wir bedroht werden."
Surabischwili gab sich im Europaparlament kämpferisch. "Die Georgier werden nicht aufhören, bis es freie und faire Wahlen gibt." Doch sollte die Regierung Georgien weiter auf Kurs Richtung Russland bringen, bleibt wohl vielen von ihnen nur, das Land zu verlassen.
Der Autor ist freier Osteuropa-Korrespondent.