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Das Medieninteresse nach der Abwahl von Stephan Brandner (AfD) als Vorsitzenden des Rechtsausschusses war im November 2019 groß. Jetzt steht fest: Das Verfahren zur Abwahl ist korrekt gewesen.

Kein Anspruch auf Ausschussvorsitz : AfD verliert ihre Klagen zum Vorsitz von Ausschüssen

Das Bundesverfassungsgericht stellt mit seinem Urteil klar, dass es keinen Anspruch darauf gibt, bei einer Wahl gewählt zu werden. Auch eine Abwahl ist möglich.

18.09.2024
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5 Min

Die AfD ist im Streit um die Ausschussvorsitze im Bundestag vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Karlsruhe entschied einstimmig, dass eine Fraktion keinen Anspruch auf einen Posten als Ausschussvorsitzender hat, auch die im November 2019 erfolgte Abwahl des AfD-Politiker Stephan Brandner, er war in der 19. Wahlperiode bis dahin Vorsitzender des Rechtsausschusses, verstieß nicht gegen das Grundgesetz. Damit ist ein jahrelanger Streit entschieden, das Urteil zeigt zudem die Reichweite der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages auf. 

Fest steht nun: Nutzen Ausschüsse im Bundestag bei der Bestimmung ihrer Vorsitzenden die Möglichkeit einer Wahl, ist dies verfassungsrechtlich erlaubt. Zudem gilt: Wer gewählt worden ist, kann auch abgewählt werden, auch wenn dazu eine ausdrückliche Regelung in der Geschäftsordnung des Bundestages  fehlt. Der Bundestag hatte die Möglichkeit einer Abwahl damit begründet, dass es zu einem Rechtsakt auch eine gegenteilige Rechtshandlung geben könne. Diese Sicht sei „folgerichtig“ und dieses Verständnis der Geschäftsordnung „nicht evident sachwidrig“, bestätigte Karlsruhe heute, dass das Verfahren zur Abwahl von Stephan Brandner korrekt gewesen sei.

Der Fall Stephan Brandner

📆 Am 13. November 2019 schrieb der Bundestag Geschichte. Erstmals wurde der Vorsitzende eines Ausschusses von den Mitgliedern seines Ausschusses abgewählt

⚖️ Es war der AfD-Politiker Stephan Brandner und der Rechtsausschuss, dem Brandner bis dahin vorstand, sah keine Möglichkeit mehr unter seiner Leitung vertrauensvoll zusammenarbeiten zu können. Das wiederum hätte die Arbeitsfähigkeit des Ausschusses gefährdet. 

💬 Anders als bei den damaligen weiteren Ausschussvorsitzenden der AfD, Peter Boehringer (damals Vorsitzender des Haushaltsausschusses) und Sebastian Münzenmaier (damals Vorsitzender des Tourismusausschusses), wurde Brandners Verhalten als Vorsitzender immer wieder scharf kritisiert. Brandner wies diese Kritik durchweg als unbegründet zurück, entschuldigte sich aber für eine unpassende Kommentierung in den sozialen Medien zu den Trauerfeiern nach dem rechtsextremistischen Attentat auf die Synagoge in Halle vom 9. Oktober 2019.



Eine Wahl der Ausschussvorsitzenden war früher die Ausnahme

Dass diese eher selbstverständlich klingenden Gedanken in Zweifel standen, wird bei einem Blick in die Vergangenheit verständlicher. Bis zum Beginn der vergangenen 19. Wahlperiode, also bis Oktober 2017, wurde in den Ausschüssen nur selten das Mittel einer Wahl zur Bestimmung der Vorsitzenden genutzt. Da in jedem Ausschuss eine vorher festgelegte Fraktion vorschlagsberechtigt dafür ist, wen sie für das Amt des Ausschussvorsitzes vorsieht, wurde deren Vorschlag häufig durch Akklamation bestätigt. Nur wenn sich Widerspruch erhob, wurde gegebenenfalls eine Wahl durchgeführt.

In der 19. Wahlperiode kam es dann in mehreren Ausschüssen zu solchen Widersprüchen gegen Kandidaten der AfD, so dass eine Wahl nötig wurde, bei der sodann aber die von der AfD benannten Kandidaten eine Mehrheit erhielten und ihr Amt antreten konnten. Dies ist in der aktuellen Wahlperiode anders, zwar ist im Bundestag unstrittig und zwischen den Fraktionen vereinbart, dass der AfD ein Vorsitz im Innen-, Gesundheits-, und Entwicklungsausschuss zusteht, bei den Wahlen in den Ausschüssen erhielt aber bislang keiner der AfD-Kandidaten eine Mehrheit. Die Vorsitze sind seitdem vakant und die stellvertretenden Vorsitzenden leiten die Ausschüsse.

Verfahren und Wahl im Bundestag sind nicht zu beanstanden

Weder das Verfahren noch das Scheitern bei Wahlen zum Vorsitzenden sei aber verfassungsrechtlich zu beanstanden, entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht. Dass eine Wahl zur Bestimmung der Vorsitzenden durchgeführt wird, wahrt „den Grundsatz einer fairen und loyalen Auslegung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages“, so die Karlsruher Richterinnen und Richter, insbesondere sei dies „nicht evident sachwidrig“ und damit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 


Portraitfoto der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas
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„Der Bundestag kann seine inneren Angelegenheiten in eigener Verantwortung regeln. Das Urteil ist eine wichtige Klarstellung.“
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD)

Es sei auch nicht zu beanstanden, dass damit die Mitwirkung einer Fraktion bei der Besetzung der Ausschussvorsitze „unter den Vorbehalt einer freien Wahl im Ausschuss gestellt“ werde. Das Mitwirkungsrecht einer Fraktion ist also bereits dadurch gewahrt, dass sie „einen Kandidaten für die Wahl vorschlagen kann und dass die freie Wahl ordnungsgemäß durchgeführt wird.“ 

Es gibt aber bei einer Wahl keinen Anspruch darauf, dass ein Kandidat auch gewählt werde, das Bundesverfassungsgericht formuliert dies heute so: „Mit einer freien Wahl wäre es unvereinbar, wenn eine Fraktion das Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte.“ Ganz deutlich stellte es dabei auch fest, dass eine Wahl im Bundestag nur eine „freie Wahl“ sein könne: „Der mit einer Wahl einhergehende legitimatorische Mehrwert könnte nicht erreicht werden, wenn es eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin gäbe.“

Urteil stärkt Unabhängigkeit des Bundestages

Als Stärkung der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages kann verstanden werden, dass sich das Bundesverfassungsgericht darin beschränkte, solche Fragen der „Gleichheit der Abgeordneten in Form der Teilhabe an Rechtspositionen“ zu entscheiden, „die erst die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einräumt“ und sich damit nicht bereits unmittelbar aus Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG ergeben. Aus dieser Verfassungsnorm folgt aber, wie das Bundesverfassungsgericht feststellt, kein „Anspruch auf Zugang zu Leitungsämtern, bei denen es nicht zur inhaltlichen Vorformung der parlamentarischen politischen Willensbildung kommt“. 

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Die Funktion von Ausschussvorsitzenden zählt zu solchen Ämtern, die eben nicht zur inhaltlichen Vorformung der parlamentarischen politischen Willensbildung beitragen, sondern weitestgehend organisatorischer Natur sind. Dass der Status als Ausschussvorsitzender dem besonderen Schutz von Artikel 38 GG nur eingeschränkt unterliege, hatte das Bundesverfassungsgericht schon 1991 entschieden. Eine verfassungsgerichtliche Überprüfung findet dort „lediglich dahingehend statt, ob die einschlägigen Bestimmungen der Geschäftsordnung oder ihre Auslegung und Anwendung jedenfalls nicht evident sachwidrig und damit willkürlich sind.“

Bundestagspräsidentin begrüßt Stärkung des Bundestages, AfD kritisiert Urteil

In einer ersten Stellungnahme hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) diese Klarstellung und Stärkung der Geschäftsordnungsautonomie im Karlsruher Urteil herausgehoben: “Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist klar. Es hat die Autonomie des Bundestages in Fragen der Geschäftsordnung gestärkt: Der Bundestag kann seine inneren Angelegenheiten in eigener Verantwortung regeln. Das Urteil ist eine wichtige Klarstellung, welche Aufgaben und Funktionen Ausschussvorsitze haben.”

Stephan Brandner (AfD) reagierte enttäuscht über das Bundesverfassungsgericht: “Ab sofort muss jeder Ausschussvorsitzende damit rechnen, jederzeit abgewählt zu werden. Im Übrigen ist es schade, dass das Bundesverfassungsgericht dem Bruch jahrzehntelanger parlamentarischer Traditionen und des Geschäftsordnungsrechts heute einen Persilschein erteilt hat. Außerdem gilt: Mehrheiten können sich in Demokratien ändern und die jetzigen Mehrheiten werden sich an diesem Urteil messen lassen müssen, wenn sie einmal in der Minderheit sind.”