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August 1949: Plakate der sich bewerbenden Parteien finden sich zwischen Seifenreklame.

Streifzug durch 20 Bundestagswahlen : Im Wechselspiel des Wählerwillens

Schwarz-Gelb, sozialliberal, Rot-Grün oder Große Koalition: Schon vor der Ampel fanden bei Bundestagswahlen ganz unterschiedliche Konstellationen eine Mehrheit.

06.02.2025
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War das der entscheidende Fehler, gut zwei Monate vor der Bundestagswahl? Bundesweit flimmert über den Bildschirm, wie Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) beim Besuch im von der Flutkatastrophe betroffenen Erftstadt im Hintergrund lacht, während vorne Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit ernster Miene in die Kameras spricht. Es ist der 17. Juli 2021; am Vortag kam die Union in einer Umfrage auf 30 Prozent, die zweitplatzierte SPD nur auf die Hälfte. Am 22. August ermitteln die Demoskopen erstmals Gleichstand zwischen beiden. Am 26. September landen die Sozialdemokraten mit Spitzenkandidat Olaf Scholz bei der Wahl mit 25,7 Prozent klar vor Laschets Union.

Die fuhr mit 24,2 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein; erstmals erreichten SPD und Union bei einer Bundestagswahl zusammen weniger als die Hälfte der Stimmen. Freuen konnten sich dagegen die Grünen über ihr bestes Bundestags-Wahlergebnis (14,7 Prozent), die FDP über leichte Zugewinne (11,4 Prozent) und die AfD über einen trotz Verluste gelungenen Wiedereinzug mit zweistelligem Ergebnis (10,4 Prozent). Die Linke sackte zwar knapp unter die Fünf-Prozent-Hürde, blieb aber dank dreier Direktmandate mit 39 Abgeordneten in Fraktionsstärke im Parlament.

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Das Lachen von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) mitten im Flutgebiet sorgte im Bundestagswahlkampf 2021 für große mediale Empörung.

Einen Amtsbonus hatte keiner der Kanzlerkandidaten: Langzeit-Regierungschefin Angela Merkel (CDU) war aus eigenem Entschluss nicht mehr angetreten. Nun musste ihre Union zum dritten Mal überhaupt auf die Oppositionsbank wechseln; SPD, Grüne und FDP bildeten die erste Dreier-Koalition im Bund.

"Jamaika" platzte 2017 schon bei den Koalitionsverhandlungen

Eine solche hätte es fast schon nach der vorherigen Wahl 2017 gegeben, mit "Jamaika" statt "Ampel", doch hatte die FDP damals wochenlange Koalitionsverhandlungen mit CDU, CSU und Grünen platzen lassen. So bildeten erneut Union und SPD die Regierung, obwohl sie bei der Wahl kräftig hatten Federn lassen müssen: Diesmal schnitten die Sozialdemokraten mit 20,5 Prozent so schlecht ab wie noch nie bei einer Bundestagswahl, während die Union - mit Merkel - mit 32,9 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 holte. Leicht zulegen konnten Linke und Grüne, doch zogen an ihnen die erst 2013 gegründete AfD vorbei sowie die zuletzt erstmals nicht im Parlament vertretene FDP und vergrößerten die Zahl der im Bundestag vertretenen Parteien von fünf auf sieben - so viele hatten dort zuletzt vor 70 Jahren gesessen, nämlich bis zur Wahl 1957.

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Sogar drei mehr waren es nach der ersten Bundestagswahl 1949: Neben der Union mit 31,0 Prozent, der SPD mit 29,2 Prozent und der FDP mit 11,9 Prozent zogen sieben weiteren Parteien ins Hohe Haus ein. Das lag auch am damaligen Wahlgesetz, nach dem die Fünf-Prozent-Hürde nur in einem Bundesland übersprungen werden musste. Nach der Wahl setzte Konrad Adenauer (CDU) ein Regierungsbündnis mit der FDP und der "Deutschen Partei" (DP) durch; mit einer Stimme Mehrheit wurde er zum "Gründungskanzler" gewählt.

50,2 Prozent: 1957 errang die Union die absolute Mehrheit

Bei der zweiten Bundestagswahl 1953, bei der es erstmals Erst- und Zweitstimmen gab, mussten mindestens fünf Prozent aller bundesweit abgegebenen Zweitstimmen oder - wie 1949 - mindestens ein Direktmandat errungen werden, um entsprechend dem Zweitstimmenergebnis ins Parlament einzuziehen. Die Union verbesserte sich auf 45,2 Prozent und koalierte mit FDP, DP und dem "Gesamtdeutschen Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten". Dieser hatte 5,9 Prozent der Stimmen geholt, während die DP und das Zentrum nach Wahlabsprachen mit der Union in den Bundestag gelangten. Als die DP vier Jahre später dank solcher Absprachen neben Union, SPD und FDP wieder ins Parlament einzog, forderte ein neues Bundeswahlgesetz zur Umgehung der Fünf-Prozent-Hürde erstmals drei Direktmandate.

Bei der Wahl 1957, ab der auch die Saarländer mitstimmten, errang die Union mit 50,2 Prozent die absolute Mehrheit - einmalig in der Bundestagshistorie. Nach der folgenden Wahl von 1961 waren Union, SPD und FDP im Bundestag unter sich - bis 1983. Nachdem die Union 1961 ihre absolute Mehrheit verlor, machte die FDP eine Koalition von Adenauers Rücktritt während der neuen Wahlperiode abhängig. 1963 löste den damals 87-jährigen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard als Regierungschef ab, unter dem die Union bei der Wahl 1965 wieder Stimmengewinne verbuchte. Die fortgesetzte Koalition mit der FDP zerbrach indes im Jahr darauf, und ohne neues Wählervotum folgte von 1966 bis 1969 die erste Große Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU).

1969 musste die Union zum ersten Mal auf die Oppositionsbank

Er wurde nach der Wahl 1969 von SPD-Chef Willy Brandt abgelöst. Die Union blieb zwar mit 46,1 Prozent stärkste Kraft, doch fanden SPD und FDP zur sozialliberalen Koalition zusammen. Sie wurde bei der vorgezogenen Wahl von 1972 bestätigt, bei der das aktive Wahlalter von 21 auf 18 Jahre gesenkt war; die SPD stellte zum ersten Mal die stärkste Fraktion. Auch 1976 behauptete sich die SPD/FDP-Koalition unter Brandt-Nachfolger Helmut Schmidt gegen die Union, die indes wieder stärkste Fraktion wurde. Noch einmal fand sich 1980 eine Mehrheit für das sozialliberale Bündnis, doch wurde Schmidt 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum von Union und FDP gestürzt.

Deren neue Koalition unter Helmut Kohl (CDU) wurde nach der Parlamentsauflösung 1983 bestätigt, ebenso 1987, 1990 und 1994. Mit 16 Jahren und 26 Tagen - neun Tage mehr als Merkel - kam Kohl auf die längste Amtszeit aller Bundeskanzler.

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Straßenwahlkampf in Ost-Berlin im März 1990: Nie war die Wahlbeteiligung in Deutschland so hoch wie bei der einzigen freien Volkskammerwahl in der DDR.

Mit den Grünen gelangte 1983 erstmals seit 30 Jahren eine neue Partei ins Parlament. Im Gegensatz zu 1987 verpassten sie bei der ersten gesamtdeutschen Wahl Ende 1990 im Westen den Wiedereinzug, während in den neuen Ländern die Listenverbindung Bündnis 90/Die Grünen die in Ost und West damals separate Fünf-Prozent-Hürde nahm und als Bundestagsgruppe ins Parlament kam.

Mit Angela Merkel kam erstmals eine Frau an die Regierungsspitze

Davor lag am 18. März 1990 die einzige freie Wahl der DDR-Volkskammer, die - bei der in Deutschlands Geschichte höchsten Wahlbeteiligung von 93,4 Prozent - mit dem Sieg einer Allianz unter CDU-Führung den Weg in die Einheit wies. Bei der Wahl im Dezember zog auch die SED-Nachfolgepartei PDS in Gruppenstärke in den Bundestag ein, ebenso 1994, als sie unter fünf Prozent blieb, aber vier Direktmandate holte, während die nun vereinigten Ost- und West-Grünen wieder Fraktionsstärke hatten.

Das gelang der PDS erst 1998, als die SPD stärkste Kraft wurde und die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder (SPD) einging. Bei deren Bestätigung 2002 blieben der PDS nur zwei Direktmandate; bei der vorgezogenen Wahl 2005 kam sie als Linkspartei erneut auf Fraktionsstärke. Die Union landete mit 35,2 Prozent der Stimmen vor der SPD mit 34,2 Prozent und stellte in der zweiten Großen Koalition mit Angela Merkel die erste Frau an der Regierungsspitze. Angestrebt hatten weder Union noch SPD das gemeinsame Regierungsbündnis, doch reichte das Wahlergebnis weder für Rot-Grün noch für Schwarz-Gelb, und Dreierkonstellationen wurden noch nicht ernstlich erwogen.

Neuauflagen der Großen Koalition mit dürren Wahlergebnissen

Der neuerlichen Regierungszeit der zwei großen Partner folgte 2009 ein für beide herber Absturz, als die SPD mit 23,0 Prozent ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik einfuhr und die Union mit 33,8 Prozent ihr (bis 2017) zweitschlechtestes. Dagegen konnte sich die FDP mit 14,9 Prozent über ein Rekordergebnis freuen, und auch Die Linke und die Grünen feierten 2009 mit 11,9 beziehungsweise 10,7 Prozent historische Höchstwerte. Im Ergebnis kam es zur altbekannten schwarz-gelben Koalition - insgesamt 29 Jahre hatte die Union damals schon mit der FDP regiert.

Für diese zahlte sich die Koalition mit Merkel so wenig aus wie zuvor für die SPD: 2013 verpasste die FDP mit 4,8 Prozent erstmalig den Einzug in den Bundestag, nach insgesamt 46 Jahren in Regierungsverantwortung. Union und SPD machten sich an die dritte Auflage einer Großen Koalition, der nach der für beide desaströsen Wahl von 2017 gar eine vierte folgte - bis zu Merkels Abtritt und Laschets Lacher 2021.

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