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Zuwanderung nach Deutschland : Umstrittener Neuanfang in schwierigen Zeiten

Während die Asylbewerberzahlen seit 2021 wieder steigen, arbeitet die Ampel-Koalition an einem Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik.

14.08.2023
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4 Min
Foto: picture alliance / SZ Photo | Jens Schicke

Aus der Ukraine geflüchtete Menschen kommen im März 2022 am Berliner Hauptbahnhof an.

"Wir wollen einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik gestalten, der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird." Das haben die Ampel-Partner in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt - drei Parteien, die in Zuwanderungsfragen zum Teil weit auseinander liegen. Als sie ihn im Dezember 2021 unterschrieben, lag die Zahl der Asylerstanträge in den elf Monaten davor bei insgesamt knapp 135.000. Im Folgejahr kamen fast 218.000 weitere Asylerstantragsteller und im ersten Halbjahr 2023 nochmals 150.000; zusätzlich haben ab Februar 2022 gut eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in der Bundesrepublik Zuflucht vor dem russischen Angriffskrieg gesucht.

Die auch ohne die Ukraine-Flüchtlinge massiv gestiegenen Zuwanderungszahlen drohen nicht nur die für die Unterbringung zuständigen Kommunen zu überfordern, sondern überlagern auch den von der Ampel eingeleiteten "Paradigmenwechsel" in der Migrationspolitik. Dabei geht es um neue Rahmenbedingungen für Menschen, die schon jahre- oder jahrzehntelang in Deutschland leben, aber auch - nach dem Motto "weniger irreguläre Migration, mehr legale Einwanderung " - um neue Zuwanderung in ein Land, das angesichts des demografischen Wandels immer lauter unter Arbeitskräftemangel ächzt. Entlastung kann hier auch das sich schon in Einzelmaßnahmen spiegelnde Koalitionsvorhaben bringen, "Arbeitsverbote für bereits in Deutschland Lebende abzuschaffen".

Erste Erleichterungen beim Bleiberecht

Den Anfang machte das Ende 2022 vom Bundestag beschlossene "erste Migrationspaket", das neben dem "Chancen-Aufenthaltsrecht" weitere Erleichterungen beim Bleiberecht beinhaltet. Das 18-monatige Chancen-Aufenthaltsrecht soll Menschen, die am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet in Deutschland gelebt haben, ermöglichen, die Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen. Dazu zählen insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts, Kenntnisse der deutschen Sprache und der Identitätsnachweis. Ziel ist es, Kettenduldungen zu verhindern und die Zahl Langzeitgeduldeter zu reduzieren.

Ende Oktober 2022 lebten mehr als 137.000 geduldete Ausländer länger als fünf Jahre in Deutschland. Straftäter bleiben von der Neuregelung grundsätzlich ausgeschlossen, ebenso, wer seine Abschiebung durch Falschangaben verhindert. Wer die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach den 18 Monaten nicht erfüllt, fällt zurück in die Duldung.

Ferner bekommen gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige nach drei Jahren Aufenthalt sowie bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht. Besondere Integrationsleistungen sollen gewürdigt werden, indem Geduldeten nach sechs Jahren - oder vier Jahren bei Zusammenleben mit minderjährigen Kindern - ein Bleiberecht eröffnet wird. Die Voraufenthaltszeiten verringern sich damit um jeweils zwei Jahre.

Vor der Sommerpause verabschiedete der Bundestag dann 2023 das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, nachdem das erste Migrationspaket auch hier schon Erleichterungen enthielt. Das Gesetz ermöglicht zudem Asylbewerbern, die vor Ende März 2023 eingereist sind, einen "Spurwechsel": Sie können bei entsprechender Qualifikation und einem Arbeitsplatzangebot oder einem bereits aufgenommenen Arbeitsverhältnis eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen, ohne zuvor ausreisen und ein Visumverfahren durchlaufen zu müssen.

Mündliche Sprachkenntnisse reichen für sogenannte Gastarbeiter

Zu einem weiteren Reformprojekt, der "Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts", soll ein vom Bundesinnenministerium (BMI) im Mai vorgelegter Gesetzentwurf nach der Ressortabstimmung noch im Sommer dem Kabinett vorgelegt werden. Der Entwurf sieht vor, dass bei Einbürgerungen mehrfache Staatsangehörigkeiten künftig hingenommen werden, die sogenannte Optionsregelung vollständig gestrichen und die Mindestaufenthaltsdauer in Deutschland von acht auf in der Regel fünf Jahre verkürzt wird. Geplant sind auch geringere Sprachanforderungen für bestimmte Gruppen. Für sogenannte Gastarbeiter und einstige DDR-Vertragsarbeitnehmer reichen danach mündliche deutsche Sprachkenntnisse aus.

Nach diesem Gesetzgebungsverfahren sollen die Arbeiten am zweiten Migrationspaket aufgenommen werden, wie die Bundesregierung im Frühjahr ankündigte. Es soll laut BMI unter dem Arbeitstitel "Familien- und Arbeitsmarktintegrationsgesetz" weitere Aufträge des Koalitionsvertrags im Bereich Migration umsetzen. So kündigten die Koalitionäre in ihrem Vertrag etwa an, die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten, die derzeit auf 1.000 Personen pro Monat begrenzt ist, mit der zu anerkannten Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleichstellen. Auch sieht der Koalitionsvertrag unter anderem vor, die Klärung der Identität eines Ausländers um die Möglichkeit zu erweitern, eine Versicherung an Eides statt abzugeben.

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Keine Einigkeit bei Einstufung sicherer Herkunftsstaaten

In der Opposition stößt die Neuausrichtung der Migrationspolitik insbesondere bei CDU/CSU und AfD auf scharfe Kritik. Während der Linken viele Neuregelungen zu restriktiv sind, gehen sie neben der AfD auch der Union viel zu weit. Sie vermisst zudem die im Koalitionsvertrag angekündigte "Rückführungsoffensive", auch wenn das erste Migrationspaket Erleichterungen bei der Ausweisung vor allem von Straftätern und Gefährdern sowie der Anordnung von Abschiebungshaft enthielt und zugleich ein Gesetz zur Beschleunigung von Asylverfahren beschlossen wurde.

2022 gab es knapp 13.000 Abschiebungen. Um die Zahl zu erhöhen, vereinbarte Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Mai mit den Regierungschefs der 16 Bundesländer, die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage zu verlängern sowie Georgien und Moldau zu asylrechtlich sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Zu beiden Punkten brachte danach die CDU/CSU Gesetzentwürfe ein, noch nicht aber die Ampel, die sich in den ersten Lesungen der Unions-Vorlagen vor allem bei der Einstufung sicherer Herkunftsstaaten uneins zeigte - bereits in der letzten Wahlperiode scheiterte eine solche Einstufung Georgiens (und der Maghreb-Staaten) im Bundesrat an den Grünen.

Migrationsabkommen mit Kirgisistan und Kenia geplant

Wenig Kritik ist demgegenüber an der Absicht der Koalition laut geworden, zur Erhöhung der Rückführungszahlen wie zur Fachkräftegewinnung Migrationsabkommen mit Herkunftsländern auszuhandeln; ein erstes wurde Ende 2022 mit Indien geschlossen. Bei diesen Abkommen will die Ampel auch die sogenannte Westbalkanregelung als "Teil des Instrumentenkastens" nutzen, wie sie in einer Bundestags-Entschließung im Juni deutlich machte. Diese Regelung eröffnet für jede Beschäftigung einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.

Vorbereiten soll die Vereinbarungen der seit Februar amtierende Sonderbevollmächtigte Joachim Stamp (FDP). Er hat laut BMI bislang mit Georgien, Moldau und Usbekistan über eine Migrationszusammenarbeit gesprochen; in Vorbereitung sind solche Gespräche den Angaben zufolge auch mit Kirgisistan und Kenia.