Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch : Der lange Streit um Paragraf 218
Schwangerschaftsabbrüche sind grundsätzlich rechtswidrig. Das gilt seit 1871. Dennoch hat sich über die Jahrzehnte einiges geändert.
Am 15. Mai 1871 wurde das Reichsstrafgesetzbuch verkündet. Seitdem gibt es Paragraf 218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Das Abtreibungsverbot war freilich nicht neu, sondern vorher in anderen Gesetzen geregelt. 1871 wurde die Abtreibung mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus bestraft. Ausnahmen gab es keine. Wegen der vielen politischen Kämpfe wurde Paragraf 218 bald zu einem der bekanntesten Strafparagrafen und ist dies auch heute noch.
Eine breitere Reformdiskussion gab es aber erst in der Weimarer Republik, weil immer wieder Frauen an heimlich durchgeführten Abtreibungen verbluteten. Die illegalen "Engelmacher" hatten oft keinerlei Ausbildung. Doch politisch war eine Liberalisierung nicht durchsetzbar. Immerhin ließ das Reichsgericht 1927 Abbrüche durch Ärzte zu, wenn die Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Frau bedrohte.
Die Nazis führten die Todesstrafe für Schwangerschaftsabbrüche ein
Im Dritten Reich gab es eine zweigleisige Bevölkerungspolitik. Für "minderwertige" Frauen wie Jüdinnen wurde der Schwangerschaftsabbruch freigegeben, für arische Frauen wurde er erschwert. 1943 führten die Nazis für Personen, die fortgesetzt gewerbliche Abtreibungen vornahmen, sogar die Todesstrafe ein. Damit sollte die "Lebenskraft des Volkes" geschützt werden.
Nach 1945 galten wieder die Regeln der Weimarer Zeit, wobei Ärzte bei der Annahme einer Notlage nun großzügiger wurden und auch soziale Aspekte eine zunehmende Rolle spielten. Rechtssicherheit gab es aber nicht.
Aus der Studentenbewegung ging nach 1968 auch die moderne Frauenbewegung hervor. 1971 bekannten über 300 Frauen auf dem Titelbild der Illustrierten "Stern": "Wir haben abgetrieben". Mit dabei waren auch berühmte Schauspielerinnen wie Romy Schneider und Senta Berger. Die Feministin Alice Schwarzer hatte die Aktion nach einem französischen Vorbild initiiert. Die neue Frauenbewegung forderte unter dem Motto "Mein Bauch gehört mir" eine ersatzlose Streichung von Paragraf 218.
Fristenlösung hatte in Karlsruhe zweimal keinen Bestand
Die Bewegung schien Erfolg zu haben. Mit den Stimmen von SPD und FDP beschloss der Bundestag im Sommer 1974 eine Fristenlösung. Der Schwangerschaftsabbruch wurde erlaubt, wenn er in den ersten zwölf Wochen durchgeführt wurde. Doch auf Antrag der baden-württembergischen CDU-Landesregierung stoppte das Bundesverfassungsgericht die Fristenlösung sofort per Eilbeschluss.
Ein Jahr später, 1975, erklärte Karlsruhe den liberalisierten Paragrafen 218 für verfassungswidrig. Das Recht auf Leben gelte von Anfang an, also auch für das ungeborene Leben. Der Bundestag beschloss darauf 1976 eine Indikationslösung. Schwangerschaftsabbrüche waren rechtmäßig, wenn es eine medizinische oder soziale Notlage gab sowie nach einer Vergewaltigung oder wenn ein behindertes Kind erwartet wurde. In der DDR war bereits 1972 eine Fristenlösung eingeführt worden, die bis 1992 galt. Frauen hatten in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft sogar einen Anspruch auf einen Abbruch.
Protest in Frankfurt am Main: Seit den 1970ern setzt sich die Frauenbewegung für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts ein.
Nach der Wiedervereinigung musste eine einheitliche Rechtslage hergestellt werden. Auf Vorschlag der CDU-Politikerin Rita Süssmuth beschloss der Bundestag 1992 eine Beratungslösung: Abtreibungen sind in den ersten zwölf Wochen erlaubt, wenn die Frau sich im Sinne des Lebensschutzes beraten lässt.
Doch 1993 blockierte das Bundesverfassungsgericht zunächst auch diese Reform, weil das ungeborene Leben zu wenig geschützt werde. Vorgabe aus Karlsruhe: Abbrüche nach der Beratungslösung dürfen zwar "straflos" bleiben, müssen aber formal als "rechtswidrig" eingestuft werden. 1995 beschloss der Bundestag eine entsprechend angepasste Beratungslösung.
Diese Rechtslage gilt bis heute. Und immerhin ist es mit dieser juristisch ungewöhnlichen Konstruktion gelungen, den Konflikt lange Zeit weitgehend zu befrieden. In den letzten Jahren gab es in Deutschland jeweils rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche, davon über 95 Prozent nach der Beratungslösung, die übrigen meist aufgrund einer medizinischen Indikation. Im Jahr 2021 wurden nur 13 Personen, davon neun Männer, nach Paragraf 218 verurteilt. Neuere Zahlen liegen nicht vor.
Ampelkoalition schaffte sogenanntes Werbeverbot ab
Juristisch umstritten war in den letzten zehn Jahren vor allem der eng verwandte Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs. Er verbot Ärztinnen und Ärzten nicht nur die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch sachliche Informationen über das eigene Angebot. Die Norm wurde von der Ampelkoalition 2022 abgeschafft.
Außerdem verbot der Bundestag im Juli 2024 aufdringliche Aktionen von Abtreibungsgegnern vor Beratungsstellen und Abtreibungskliniken. Solche "Gehsteigbelästigungen" können nun mit bis zu 5.000 Euro Bußgeld geahndet werden. Die Regelungen wurden in das Schwangerschaftskonfliktgesetz aufgenommen.
Soll der Bundestag noch vor der Neuwahl über eine Reform des Paragrafen 218 abstimmen? Anna Lehmann plädiert im "Pro und Contra" dafür, Hagen Strauß rät davon ab.
Breite Mehrheit für die Abschaffung des sogenannten Werbeverbots für Abtreibungen. Ärzte dürfen künftig ausführlich informieren.
Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws, beklagt gravierende Versorgungsdefizite für ungewollt Schwangere und fordert ein Ende der Stigmatisierung.
Über den eigentlich zentralen Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches wird erst seit 2021 wieder vermehrt gestritten. Anlass war der digitale Kongress "150 Jahre § 218". Im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition wurde 2021 zwar nicht die Streichung des Paragrafen gefordert (dies hatte die FDP abgelehnt), aber eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung angekündigt, die unter anderem Regelungen für Schwangerschaftsabbrüche jenseits des Strafrechts prüfen sollte.
Expertenkommission spricht sich für Legalisierung aus
Diese Expertenkommission legte im April 2024 ihren Abschlussbericht vor. Die generelle Rechtswidrigkeit von Abtreibungen halte einer "verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung" nicht Stand, hieß es. Stattdessen solle der Gesetzgeber Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen legalisieren. In der mittleren Phase bis zur Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs stehe dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu, bis zu welchem Zeitpunkt er den Schwangerschaftsabbruch als rechtmäßig ansehe. Ab der extra-uterinen Lebensfähigkeit des Fötus komme dessen Lebensrecht Vorrang zu.
Sollte der Bundestag den Schwangerschaftsabbruch teilweise legalisieren, könnte das Bundesverfassungsgericht im Wege der abstrakten Normenkontrolle angerufen werden. Die bayerische Landesregierung hat schon Anfang 2023 einen entsprechenden Antrag angekündigt.