Streit um den Supreme Court : Die konservative Bastion
Am Supreme Court haben konservative Richter das Sagen - und fällen historische Urteile. Das ärgert die Demokraten. Ihre Reformvorschläge bleiben wohl illusorisch.
Es gab Zeiten, da stand der Oberste Gerichtshof in Washington über den Dingen des politischen Grabenkampfs im Zwei-Parteien-System der Vereinigten Staaten von Amerika. Mochten sich Demokraten und Republikaner im Kongress auch noch so hartnäckig bekämpfen und dadurch in der Wertschätzung der Bürger auf miserables Niveau absinken, die Chef-Interpreten der Verfassung konnten sich vor 20 Jahren noch auf den stabilen Rückhalt von 75 Prozent der Bevölkerung verlassen. Was die neun Richterinnen und Richter entschieden, dem vertraute eine solide Mehrheit der Amerikaner. Das ist vorbei.
Als das "Annenberg Public Policy Center" im Spätsommer neue Umfragewerte vorlegte, war das Erschrecken groß: Nur noch 44 Prozent der Bürger waren der Ansicht, dass der Supreme Court in ihrem besten Interesse agiert.
Der Protest blieb erfolglos: Mit der Mehrheit der konservativen Richterinnen und Richter kippte der Supreme Court nach knapp 50 Jahren das bundesweite Recht auf Abtreibung.
Je nach Parteizugehörigkeit, das ergänzten Meinungsforscher von Gallup, ist die Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit noch drastischer ausgeprägt. Während mehr als 70 Prozent der republikanischen Wähler hinter dem Gericht stehen, teilen nur 15 Prozent der Demokraten diese Einschätzung. Das liegt an diversen spektakulären Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit - und an Donald Trump.
Trump setzte drei konservative Richter durch
Seit der 45. Präsident in seiner Amtszeit von 2017 bis 2021 mit Hilfe republikanischer Parlamentarier, mit Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett, drei ultra-konservative "Justices" ernannte, verfügt die politische Rechte dort über eine 6-zu-3-Mehrheit. Zu den drei Genannten gesellen sich die dienstältesten Richter Samuel Alito, Clarence Thomas und der Vorsitzende Richter John Roberts. Ihnen stehen mit Sonia Sotomayor, Elena Kagan und Ketanji Brown Jackson drei von demokratischen Präsidenten berufene Richterinnen gegenüber, die tendenziell einer linksliberalen Auslegung der Verfassung anhängen.
Die Demokraten in Person von Amtsinhaber Joe Biden wollen dem massiven Ansehensverlust des Obersten Gerichts durch ein Reformwerk beikommen, das es in sich hat, aber bei den herrschenden Mehrheitsverhältnissen im Parlament kaum Aussichten auf Realisierung. Kamala Harris hat sich dazu noch nicht dezidiert geäußert.
Biden will Immunität des Präsidenten einschränken
So soll die im Sommer ergangene, kontroverse Entscheidung zur Immunität gekontert werden. Danach soll Ex-Präsident Donald Trump für diverse Verbrechen, die er im Kontext mit dem blutigen Sturm aufs Kapitol und der versuchten nachträglichen Manipulation der Wahl von 2020 begangen haben soll, grundsätzlich nicht strafrechtlich belangt werden können - jedenfalls sofern er in seiner Funktion als Präsident aktiv wurde. Nur private Handlungen könnten in einem Prozess gegen ihn verfolgt werden, urteilten die sechs konservativen Richter - was diese sind, blieb undefiniert.
Aus Sicht der liberalen Richterinnen war das eine Fehlentscheidung, die auch nichts mit den ansonsten von den konservativen Richterinnen und Richtern gerne hochgehaltenen Intentionen der Verfassungsväter zu tun hat. "Das steht im krassen Gegensatz zu den Absichten, die die Gründungsväter hatten, als sie Amerika vom Joch des Königreichs befreiten: Niemand darf über dem Gesetz stehen", schrieb Sonia Sotomayor für die Minderheit des Gerichtes.
Joe Biden, der zum Missfallen des progressiven Flügels der Demokraten das Thema lange Zeit auf kleiner Flamme köcheln ließ, redet inzwischen einer Zusatzklausel das Wort, die mit der juristischen Immunität von Präsidenten aufräumen würde. Die dazu notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress und die Zustimmung von 38 der 50 Bundesstaaten sind aber zum jetzigen Zeitpunkt illusorisch.
Amtszeitbegrenzung der Verfassungsrichter wird aktuell nicht verfolgt
Als Beiwerk sieht eine von Biden eingesetzte Kommission vor, die Amtszeit der bisher auf Lebenszeit ernannten Top-Richter zu begrenzen. Nach maximal 18 Jahren soll künftig Schluss sein. Weil die Umsetzung strittig ist, wird der Vorschlag aber derzeit nicht mit Verve verfolgt. Ebenso die immer wieder auftauchende Überlegung, das neunköpfige Gremium zu erweitern, "court packing" genannt, um ideologische Schieflagen auszugleichen, findet zurzeit keine breite Unterstützung. Alles zu kompliziert, kein eindeutiges Gewinner-Thema im laufenden Wahlkampf.
Das gilt mit Abstrichen auch für einen von den Demokraten geforderten Ethik-Kodex, der nach diversen Skandalen als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Bürgern gedacht ist. Denn die neun Top-Richter regulieren sich mehr oder weniger selbst. Niemand kontrolliert sie. Man kann sie theoretisch bei schwerem Fehlverhalten des Amtes entheben, aber das ist bisher noch nie geschehen. Ein verbindlicher Verhaltenskatalog darüber, was legitim ist und was anrüchig, fehlt. Und damit auch ein transparentes Sanktionsregime, falls jemand dagegen verstößt.
Luxusreisen für Mitglieder des Supreme Courts sorgen für Kritik
Erste Kandidaten für ein solches Regelwerk wären die von republikanischen Präsidenten ernannten Richter Clarence Thomas und Samuel Alito. Beide sind ideologisch weit rechts zu verorten und deshalb zu Hassfiguren der politischen Linken geworden.
Thomas ist zudem auf das Radar der Investigativ-Journalisten von "Pro Publica" geraten. Die fanden heraus, dass sich der 76-Jährige seit vielen Jahren von dem texanischen Milliardär Harlan Crow mit teils sündhaft teuren Urlaubsreisen und anderen Vergünstigungen aushalten lässt, obwohl dieser regelmäßig strittige Angelegenheiten vor den Supreme Court bringt.
Mächtige Roben: Die Mitglieder des Supreme Courts dienen auf Lebenszeit.
Thomas, dessen Frau Gini öffentlich mit den Verschwörern sympathisiert, die den Wahlsieg von Joe Biden 2020 als illegitim bezeichnen, saß Rücktrittsforderungen bisher einfach aus, obwohl er klar gegen Auflagen verstoßen hatte. Solche Gefälligkeiten müssen im Sinne der politischen Hygiene offiziell angegeben werden.
Bei Alito, dessen Frau ebenfalls der Überzeugung ist, dass Trump die Wahl vor vier Jahren gewonnen hat und von den Demokraten betrogen wurde, ging es auch um illustre Geschenke. Der Hedgefonds-Manager Paul Singer hatte Alito im Privatjet zum Lachsfangen und Champagnerschlürfen auf eine 1.000-Dollar-die-Nacht-Nobel-Farm in Alaska fliegen lassen. Gegenwert: Mehr als 100.000 US-Dollar. Weder gab Alito den Reisevoucher bei der Veröffentlichung seiner finanziellen Verhältnisse an, noch erklärte er sich für befangen, als vor dem Supreme Court Themen verhandelt wurden, die direkt Singers wirtschaftliche Aktivitäten betrafen. Weder Thomas noch Alito haben öffentliche Reue gezeigt und Besserung gelobt. Sie wissen, sagen ihre Gegner, dass sie quasi unantastbar sind.
Watchdog-Organisation warnt vor einer Legitimitätskrise
Stellvertretend für die vielen Kritiker, die sich einer nicht demokratisch gewählten Instanz mit klarer Präferenz für konservativ-republikanische Rechtsauslegung hoffnungslos ausgeliefert sehen, fordert die renommierte Watchdog-Organisation "Citizens for Responsibility and Ethics in Washington" (Bürger für Verantwortung und Rechtschaffenheit in Washington) die Politik auf, die "Legitimitätskrise" des Obersten Gerichtshofes nicht länger auf die leichte Schulter zu nehmen. Ihr Tenor: Ist der Ruf des Supreme Courts erst einmal irreparabel geschädigt, gibt es keine landesweit akzeptierte Instanz mehr, die in Zeiten extremer gesellschaftlicher Polarisierung befriedende Impulse geben könnte.
Neben der Jahrhundert-Entscheidung "Dobbs v. Jackson Women's Health Organization", die de facto das bis dahin landesweit geltende Recht auf Abtreibung seit 2022 atomisiert hat und einen von den 50 Bundesstaaten individuell zu verantwortenden Flickenteppich schuf, hat der Supreme Court auch bei anderen zentralen Themen Pflöcke eingerammt, die gesellschaftlich hoch umstritten sind.
Weitreichende Entscheidungen zum Waffenrecht
So wurde vor zwei Jahren trotz sich häufender Amokläufe und Massaker mit Dutzenden Toten das Tragen von Schusswaffen in der Öffentlichkeit als Grundrecht der Bürger eingestuft und massiv gestärkt. Bundesstaaten und Städte, die das Mitführen von Pistolen und Gewehren reguliert und teilweise verboten hatten, um die galoppierende Schusswaffengewalt einzudämmen, mussten die Zügel wieder lockern. Präsident Joe Biden erklärte damals, die Entscheidung "widerspricht sowohl dem gesunden Menschenverstand wie der Verfassung und sollte uns alle schwer beunruhigen".
Der Supreme Court sorgt aber nicht erst seit Bidens Präsidentschaft mit seinen Urteilen für Kontroversen. In der fast 20-jährigen Amtszeit von Chief Justice Roberts fielen auch Zankapfel-Entscheidungen wie die Aufweichung des "Voting Rights Act" (1965), der mit der strukturellen Diskriminierung von Minderheiten an der Wahlurne Schluss machte.
Ebenso hob das Gericht die finanziellen Limits bei anonymen Wahlkampfspenden auf. Auch die in der Verfassung festgeschriebene Trennung von Kirche und Staat wurde in den vergangenen Jahren torpediert und der Zugriff staatlicher Behörden auf Finanzgauner und Umweltfrevler reduziert.
Supreme Court will über Transgender-Behandlung entscheiden
In der im Oktober begonnenen neuen Amtszeit des Gerichts stehen erneut mehrere Entscheidungen an, die gesellschaftlichen Sprengstoff enthalten. Etwa der Fall "United States v. Skrmetti": Dabei geht es um die Anfechtung eines Gesetzes aus Tennessee, das einige medizinische Behandlungen für Transgender-Minderjährige verbietet. Mehr als 20 andere Bundesstaaten haben ähnliche Gesetze, wodurch eine neue Front in den allgegenwärtigen "Kulturkriegen" entstanden ist. Das Gesetz aus Tennessee verbietet es medizinischen Fachkräften, Pubertätsblocker oder Hormone zu verschreiben, um die psychische Belastung zu behandeln, die durch die Diskrepanz zwischen dem gelebten Geschlecht und dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht verursacht wird. Die Regierung von Joe Biden argumentiert, dass das Gesetz gegen die Gleichbehandlungsklausel der Verfassung verstößt.
Überlagert wird das Arbeitsprogramm von der noch offenen Frage, ob die Causa Donald Trump erneut vor das höchste Gericht kommen wird. Und zwar dann, wenn der Ex-Präsident die Wahl verliert und in einem dann kaum vermeidbaren Strafprozess schuldig gesprochen werden sollte.
Der Autor ist US-Korrespondent der Funke-Mediengruppe.
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