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Foto: picture alliance / AP | Anonymous
Baustelle Bundeshaus: Der Plenarsaal im neuen Bundeshaus war Mitte August 1949 noch im Umbau befindlich.

Neubeginn der parlamentarischen Demokratie : Vom Bundestagsplenum über ein Auktionshaus in eine Bonner Küche

Der Bundestag erinnert mit einem Bürgerfest an die erste Bundestagswahl im Jahr 1949 und daran, wie die junge Bundesrepublik ihre ersten staatlichen Schritte tat.

26.08.2024
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4 Min

In Oliver Roentgens Bonner Küche stehen zwei Raritäten, von denen er zunächst gar nichts wusste: Die beiden Thonet-Stühle aus Holz mit schwarz-grünem Lederbezug an seinem Küchentisch hatte Roentgen auf einer Auktionsplattform gesehen und für einen Spottpreis ersteigert. „Als ich den Stempel des Deutschen Bundestages unter den beiden Stühlen gesehen habe und die Aufschrift ‚Thonet‘, da war mir klar, das sind echte Originale, die müssen aus dieser alten Bundestags-Zeit stammen“, erzählt er. Und nicht aus irgendeiner Zeit: Die Stühle gehörten zur allerersten Bestuhlung des Bundestages im Jahr 1949. Die Vorstellung, dass dort Menschen gesessen und sich Gedanken gemacht haben über Regeln, nach dem wir noch heute unser Zusammenleben regeln – da bekomme er Gänsehaut, sagt Roentgen.

Erinnerungsstücke aus 75 Jahren Bonner und Berliner Republik werden ausgestellt

Das ganze Jahr über konnten Bürgerinnen und Bürger ihre Erinnerungsstücke aus 75 Jahren Parlamentsgeschichte  beim Bundestag und dem Haus der Deutschen Geschichte in Bonn einreichen. Am 7. September, dem Tag der konstituierenden Sitzung des ersten Deutschen Bundestages, sollen sie im Bundestag ausgestellt werden. Außerdem erinnert das Parlament am 10. September mit einer parlamentarischen Feierstunde, in der unter anderem der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) und die Historikerin Christina Morina zu den Abgeordneten sprechen, an das Ereignis.

Die Rednerin im Interview

Christina Morina im Porträt auf der Leipziger Buchmesse.
Christina Morina zu 75 Jahre Bundestag: "Die Parteien müssen mehr über Repräsentation nachdenken"
Die Historikerin darüber, warum Demokratie zuerst auf der kommunalen Ebene stirbt, es bessere Teilhabe braucht und sie unsere Demokratie trotzdem für stabil hält.

In diesem Jahr jähren sich gleich mehrere Ereignisse, die für die Entstehung der Bundesrepublik wichtig waren, zum 75. Mal. Das Ende des Zweiten Weltkriegs lag gerade vier Jahre zurück, Wohnraum und Infrastruktur waren knapp, die Frage nach dem Verhältnis zu Ostdeutschland und den westlichen Staaten war offen. Kurzer Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse im Frühjahr 1949: 

  • Am 8. Mai 1949 verabschiedet der Parlamentarische Rat das von ihm ausgearbeitete Grundgesetz.
  • Am 10. Mai 1949 beschäftigt sich der Parlamentarische Rat mit der Frage, welche Stadt Regierungssitz werden soll. Das Ergebnis: Bonn wird zum „vorläufigen Sitz der Bundesorgane“.
  • Da Deutschland noch ein besetztes Land ist, müssen auch die alliierten Besatzungsmächte das Grundgesetz billigen. Die USA, Großbritannien und Frankreich stimmen am 12. Mai 1949 zu.
  • Das Grundgesetz wird zwischen dem 18. und 20. Mai 1949 von allen westdeutschen Landtagen mit Ausnahme Bayerns gebilligt. Damit ist die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Bundesländer erreicht.
  • Am 23. Mai 1949 wird das Grundgesetz feierlich verkündet, tritt in Kraft und die Bundesrepublik Deutschland ist gegründet.

In den Sommermonaten findet der erste Wahlkampf in Nachkriegsdeutschland statt. Um zur ersten Bundestagswahl antreten zu können, benötigen die Parteien damals eine Lizenz der jeweiligen Besatzungsmacht. Am ersten Wahlsonntag der Bundesrepublik, dem 14. August 1949, treten 14 Parteien an. Elf Parteien und Wählervereinigungen ziehen ins Parlament ein. Die Union wird mit 31 Prozent stärkste Kraft vor SPD und FDP. Von den 31,2 Millionen Wahlberechtigten beteiligen sich 78,5 Prozent an der Wahl.

Der Tag, der den Neubeginn der parlamentarischen Demokratie markiert

Knapp einen Monat später, am 7. September 1949, treten die 402 gewählten Abgeordneten, in Bonn zur konstituierenden Sitzung zusammen. Die Kinder in Bonn haben an dem Tag schulfrei. Die „Westdeutsche Zeitung“ berichtet, dass die Bonner zu Tausenden zum Bundeshaus geströmt seien. 


„Eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben.“
Alterspräsident Paul Löbe (SPD) über die Hoffnungen des Volkes

Im rasch umgebauten Plenarsaal wählen die Abgeordneten Erich Köhler (CDU) zum ersten Bundestagspräsidenten. Er erhält 346 der 402 abgegebenen Stimmen. Bei der Sitzungseröffnung ruft Alterspräsident Paul Löbe (SPD) den Abgeordneten in Erinnerung, das Volk erhoffe sich „eine stabile Regierung, eine gesunde Wirtschaft, eine neue soziale Ordnung in einem gesicherten Privatleben.“

Auch der Bundesrat tritt um 11.12 Uhr zum ersten Mal in Bonn zusammen. Fünf Tage später, am 12. September, wählt die Bundesversammlung Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten. Am 15. September steht fest, wer der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird: Der Bundestag stimmt für Konrad Adenauer (CDU), der eine Koalition mit der FDP und der nationalkonservativen Deutschen Partei schmiedet. Adenauer tritt sein Amt fünf Tage später an.

Bürgerfest im Berliner Parlamentsviertel

An diese ersten staatlichen Schritte der jungen Bundesrepublik und den Neuanfang auf den Trümmern der NS-Diktatur will der Bundestag erinnern. Pünktlich zum 75. Jubiläum der Konstituierung des ersten Bundestages und kurz vor Ende der parlamentarischen Sommerpause findet ein Bürgerfest im Berliner Parlamentsviertel statt. Dort soll aufgezeigt werden, wie die Demokratie und ihre Institutionen seit 1949 immer wieder neu herausgefordert wurden. Neben den Jubiläen von Grundgesetz und Bundestag jährt sich auch der Bonn-Berlin-Umzug in diesem Jahr zum 25. Mal. 

Foto: DBT / Xander Heinl

Der Bundestag lädt am 6. und 7. September 2024 zu einem Bürgerfest und zum Tag der Ein- und Ausblicke ins Parlamentsviertel ein.

Beim Bürgerfest im Parlamentsviertel am Freitag und Samstag, 6. und 7. September  soll es um die Geschichte der Bonner und der Berliner Republik, um aktuelle Fragen und zukünftige Herausforderungen des Parlamentarismus gehen. Auf einer Bühne am Friedrich-Ebert-Platz werden unter anderem Konzerte, Podiumsdiskussionen und Bürgergespräche stattfinden; Abgeordnete stehen ebenfalls für Fragen bereit. Zum Abschluss soll es ein Mitsingkonzert geben.

Am Samstag, 7. September findet von 10 bis 19 Uhr der Tag der Ein- und Ausblicke  statt. Wie jedes Jahr können Besucherinnen und Besucher das Reichstagsgebäude, das Paul-Löbe-Haus und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus sowie den Plenarsaal des Bundestages aus nächster Nähe besichtigen und sich über die Arbeit des Parlaments informieren. Es finden Lesungen und Rundgänge statt, Filme werden gezeigt und die Urschrift des Grundgesetzes kann besichtigt werden.

Auf dieser Seite finden Sie alle unsere Beiträge zu großen Debatten, Reden, Veränderungen und Stationen aus 75 Jahren Deutscher Bundestag.

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