Piwik Webtracking Image

Johannes Fechner im Interview : "Der Sargnagel war Lindners fehlende Kompromissbereitschaft"

Der Parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführer Johannes Fechner über Lehren aus dem Ampel-Aus und den Zeitplan zu Neuwahlen.

15.11.2024
True 2024-11-15T17:10:02.3600Z
5 Min

Herr Fechner, hatte Sie der Bruch der Ampel-Koalition am Mittwoch vergangener Woche überrascht?

Johannes Fechner: Eigentlich schon, weil ich gedacht habe, dass insbesondere die FDP so viel Verantwortung hat, zu sehen, dass unser Land noch wichtige Entscheidungen zur Entlastung der Unternehmen und der Bürgerinnen und Bürger braucht. Bei vielen Fragen hat der Finanzminister aber blockiert und die Mitarbeit verweigert. Insofern war die Entscheidung des Kanzlers richtig, auch wenn ich mir gewünscht hätte, die Ampel hätte noch wichtige notwendige Gesetze beschließen können.

Die Prämisse der Ampel war die Unterschiedlichkeit der drei Partner, die hatten alle Parteien zu Beginn betont. Letztendlich ist die Koalition an dieser Unterschiedlichkeit gescheitert. Hat der Rauswurf von Christian Lindner die Prämisse übergangen?

Johannes Fechner: Der Sargnagel war Lindners fehlende Kompromissbereitschaft. Zwar kommen wir aus unterschiedlichen Ecken, aber viele Dinge, die mit der Union nicht möglich waren, waren nur in dieser Ampelkonstellation durchsetzbar - beispielsweise die Verkleinerung des Bundestages, die Bürgerinnen und Bürger zu Recht eingefordert hatten.

Foto: DBT/Marco Urban

Johannes Fechner ist Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion.

Was zählt noch zu den Punkten, die die SPD nur mit der Ampel umsetzen konnte?

Johannes Fechner: Wir haben etwa lange Zeit in der GroKo für ein Deutschlandticket geworben, also einen einheitlichen Tarif für Bus und Bahn. Das war mit der Union aber nie möglich. In der Ampel haben wir es hinbekommen und jetzt 13 Millionen Abonnenten.

Nun wird ja oft geklagt, die Ampel habe viel erreicht, aber es nicht geschafft, ihre Erfolge auch entsprechend zu kommunizieren. War das ein Kernübel des Bündnisses?

Johannes Fechner: Das Kernübel war, dass bei Grünen und FDP zu oft die Bereitschaft gefehlt hat, ihrer eigenen Klientel Kompromisse zuzumuten. Das war in der GroKo anders, weil es darum ging, für das Land Verantwortung zu übernehmen.

Gleichwohl hat Sie das Aus der Ampel dann doch überrascht, wie Sie sagen. War aber der Haushalt für das kommende Jahr nicht spätestens die Soll-Bruchstelle, nachdem die Regierung es im Sommer nicht geschafft hatte, dem Bundestag einen durchfinanzierten Haushalt vorzulegen?

Johannes Fechner: Schwierigkeiten waren schon länger da. Aber ich war überrascht, dass insbesondere der Bundesfinanzminister so wenig Verantwortungsbewusstsein zeigte und die vom Bundeskanzler angebotenen Kompromisse etwa zur Entlastung von Bürgern und Unternehmen nicht mitmachte. Wir hätten auch viele weitere Themen gehabt, aber wären zu Kompromissen bereit gewesen. In der Tat war schon im Sommer sichtbar, dass der Haushalt eine Herausforderung wird und die Gemeinsamkeiten immer schwieriger zu erkennen sind - eigentlich schon in den Diskussionen, nachdem der Klima- und Transformationsfonds von Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde. Mit diesem Urteil war schon ein wichtiger Pfeiler für die Ampel-Zusammenarbeit abhandengekommen.


„Wir wollen so schnell wie möglich Neuwahlen, aber ohne Pannenrisiko.“
Johannes Fechner (SPD)

Mittlerweile gibt es Einigkeit über den 23. Februar als Termin für Neuwahlen; am 16. Dezember soll der Bundestag über die Vertrauensfrage abstimmen. Zuvor hatte die SPD argumentiert, dass diese Abstimmung über die Vertrauensfrage vor dem ursprünglich vom Bundeskanzler genannten 15. Januar schon aus formalen Gründen zur Vorbereitung der Neuwahl unpraktikabel sei?

Johannes Fechner: Nein, das ist unzutreffend. Wir haben gesagt, im Januar zu wählen, mag von den Fristen des Grundgesetzes her möglich sein, ist aber faktisch unmöglich. Denn viele Kandidatinnen und Kandidaten sind noch nicht einmal nominiert. Dafür muss zu Nominierungsveranstaltungen mit Fristen eingeladen werden. Es müssen im Anschluss auf Landesparteitagen, zu denen Delegierte mit Einladungsfristen zu wählen sind, die Listen aufgestellt werden. All diese Wahlvorgänge müssen dann von Wahlbehörden geprüft werden. Erst dann können die Stimmzettel in Druck gehen und ausgeliefert werden. Das ist alles eine enorme zeitliche Herausforderung. Man kann es schaffen in ein paar Wochen, aber das ist extrem fehleranfällig. Wir sollten auf gar keinen Fall das Risiko einer Pannenserie eingehen, wie wir sie in Berlin bei der Bundestagswahl 2021 erlebt haben. Dort wurde das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Wahlvorgang, immerhin das zentrale Element in einer Demokratie, massiv geschädigt. Deshalb ist es gut, dass wir erst Ende Februar wählen.

Auch damit werden die vom Grundgesetz vorgegebenen Fristen nicht voll ausgeschöpft. Sehen Sie darin keine der geschilderten Risiken?

Johannes Fechner: Wir wollen so schnell wie möglich Neuwahlen, aber ohne Pannenrisiko. Wir haben mit der Bundeswahlleiterin gesprochen und wir haben mit Bürgermeistern gesprochen, und die haben uns signalisiert, dass die Risiken bei dem Termin Ende Februar beherrschbar sind. Weil uns die Praktiker und Experten sagen, dass sie den Termin 23. Februar schaffen, haben wir diesen Termin gewählt.

Foto: MdB Büro
Johannes Fechner
ist 51 Jahre alt und gehört dem Bundestag seit 2013 an. Der promovierte Jurist ist seit 2021 Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion sowie ihr Obmann im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung.
Foto: MdB Büro

Auch nach dem Bruch der Ampelkoalition sollen im Bundestag noch einige Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen werden. Welche davon wären Ihnen besonders wichtig?

Johannes Fechner: Wir wollen noch in diesem Jahr Unternehmen entlasten. Wir wollen das Kindergeld erhöhen und für stabile Renten sorgen. Auch müssen wir in dieser Wahlperiode noch Bundestag und Bundesverfassungsgericht noch besser gegen Verfassungsfeinde absichern. Und weil wir bald Wahlkampf haben und dabei immer droht, dass Fraktionen - ich habe da insbesondere eine Fraktion im Auge - ihre Mittel für Öffentlichkeitsarbeit zur Parteienfinanzierung missbrauchen, wollen wir das Abgeordnetengesetz so verschärfen, dass solche veruntreuten Fraktionsmittel schnell zurückgefordert werden können.

Noch einmal zu den Unterschieden zwischen der Union einerseits sowie FDP und Grünen anderseits als Koalitionspartner: Was lehrt das vorzeitige Scheitern der Ampel - ist ein solches Dreierbündnis für die Bundesebene schlicht zu schwierig oder fehlt nur die Routine, damit umzugehen?

Johannes Fechner: Die Ampel regierte in sehr herausfordernden Zeiten. Herausforderungen wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die hohen Energiepreisen und vieles andere mehr. Das hatten frühere Regierungen nicht zu bewältigen. Eine Lehre daraus muss sein, dass als Grundvoraussetzung für stabile Regierungen jeder Partner bereit sein muss, seiner eigenen Klientel Kompromisse zuzumuten und so Verantwortung für unser Land zu übernehmen. Das war zum Ende der Ampel bei der FDP nicht mehr gegeben.

Ist es für Sie bei künftigen Koalitionsbildungen ein Argument, ob man dabei mit einem oder mit zwei Partnern arbeiten muss?

Johannes Fechner: Das kommt darauf an, wer diese Partner sind und wie sie sich aufstellen. Dann spielt natürlich eine Rolle, wie kompromissbereit und verantwortungsvoll die Partner sind, damit man wirklich vier Jahre stabil regieren und unser Land voranbringen kann.

Mehr zum Thema

Olaf Scholz, Christian Lindner, Friedrich Merz und weitere lachen im Plenum
Nach dem Ende der Ampelkoalition: Jede Menge Wahlkampf
Eine Woche nach dem Ampel-Aus gab Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag eine Regierungserklärung ab und damit einen Vorgeschmack auf den anstehenden Wahlkampf.
Ein Baustellenschild steht vor dem Reichstagsgebäude
Der Fahrplan zur Neuwahl: Kompromiss beim Wahltermin ebnet Weg für letzte Beschlüsse
Der Kompromiss für Neuwahlen am 23. Februar 2025 hat eine Blockade des Parlamentsbetriebs verhindert. Einige Abgeordnete entwickelten indes sogar neuen Eifer.
Olaf Scholz mit nachdenklicher Mine
Wie der seltene Prozess im Parlament abläuft: Frage nach Vertrauen
Der Bundeskanzler hat eine Vertrauensfrage im Bundestag angekündigt. Wie sieht eine Vertrauensfrage aus? Und welche Möglichkeiten gibt es für die Abstimmung?

Weitere Informationen