Nach dem Ende der Ampelkoalition : Jede Menge Wahlkampf
Eine Woche nach dem Ampel-Aus gab Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag eine Regierungserklärung ab und damit einen Vorgeschmack auf den anstehenden Wahlkampf.
Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Regierungserklärung zum Aus der Ampelkoalition und der wahrscheinlichen Neuwahl am 23. Februar.
Olaf Scholz (SPD) ist am Mittwoch als Regierungschef ohne Mehrheit vor den bis auf den letzten Platz gefüllten Bundestag getreten. In seiner etwa halbstündigen Rede gab er mal den Staatsmann, mal den Wahlkämpfer. Sein Konkurrent Friedrich Merz (CDU) gab sich gemäßigt und überließ die Attacke dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Was in der Debatte mit keinem Wort zur Sprache kam, ist die Frage, ob Olaf Scholz noch der richtige Kanzlerkandidat für die SPD ist. In der Partei gebe es zwar ein „Grummeln“, bestätigte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in dieser Woche. Die Parteiführung will darüber derzeit aber keine Debatte. Am 16. Dezember will Scholz die Vertrauensfrage stellen, danach kann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Bundestag auflösen, und in diesem Fall wird am 23. Februar der neue Bundestag gewählt.
Scholz wirbt noch für die Verabschiedung mehrerer Gesetzesvorhaben
Bevor es soweit ist, kämpft Bundeskanzler Scholz. In seiner Regierungserklärung rief er die Fraktionen der demokratischen Mitte dazu auf, noch eine Reihe von Gesetzesvorhaben zu verabschieden. Konkret nannte er Entlastungen bei der sogenannten kalten Progression der Einkommensteuer, die ab 1. Januar 2025 gelten sollten. Nötig sei auch eine Grundgesetzänderung, um das Bundesverfassungsgericht stärker gegen mögliche politische Einflussnahmen zu wappnen. Außerdem solle die Regierungsinitiative für mehr Wachstum beschlossen werden, und die Kindergelderhöhung solle Anfang 2025 kommen. Scholz warnte vor einer Spaltung des Landes. Dies sei die zentrale Frage bei der anstehenden Neuwahl im Februar. "Ich will vermeiden, dass es zu Verteilungskämpfen Jeder gegen Jeden kommt", sagte er. Die Wahlkampfstrategie der SPD blitzte kurz auf, als Scholz versicherte, er wolle "keine Rentenkürzungen", und beteuerte: "Nicht mit mir."
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) antwortete direkt und zeigte sich reserviert. Die Union wolle kein Auswechselspieler sein. Lediglich beim Gesetz zum Bundesverfassungsgericht signalisierte Merz Zustimmung. Scholz habe seit einer Woche keine Mehrheit mehr im Bundestag. "Die logische Folge hätte sein müssen, dass Sie sofort und unverzüglich die Vertrauensfrage stellen", fügte Merz hinzu.
Grüne geben sich betont staatspolitisch
Die Grünen gaben sich betont staatspolitisch. Sowohl Außenministerin Annalena Baerbock als auch Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann warnten davor, Deutschland schlechtzureden. Es gehe in schwierigen Zeiten darum, das Land zu stärken. Dazu brauche es "Anstand, Rückgrat und Verantwortung", sagte Baerbock. Haßelmann will "nach vorne" blicken und forderte dazu auf, sich "Beschimpfungen und Beleidigungen" zu ersparen.
FDP-Chef Christian Lindner rechnete mit Bundeskanzler Scholz ab. Seine Regierung sei auch daran gescheitert, "dass wir im Kabinett nicht mehr über dasselbe Land gesprochen haben", sagte der frühere Finanzminister. In dem Moment wendete sich Scholz demonstrativ von seinem früheren Finanzminister ab und redete mit den Ministern, die hinter ihm auf der Regierungsbank saßen. Lindner rief Scholz zu: "Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung."
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich unterstrich, dass er gewillt sei, in den kommenden Wochen mit den demokratischen Fraktionen weiterzuarbeiten. Direkt an Merz gewandt, forderte er: "Schlagen Sie sich nicht in die Büsche." Es sei wichtig, "dass die Menschen Sicherheit haben", sagte Mützenich mit Blick auf die Erhöhung des Kindergelds, die Abmilderung der kalten Progression, das Deutschland-Ticket und Gesetze zur Entlastung der Wirtschaft.
AfD-Fraktionschefin übte Fundamentalkritik
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel machte sowohl dem Bundeskanzler als auch der CDU/CSU schwere Vorwürfe. "Das, was Ihre Regierung diesem Land und seinen Bürgern angetan hat, ist beispiellos", sagte sie. Die Ampel habe wie keine Regierung zuvor Wohlstand zerstört und das Land geschädigt. Weidel sprach von einer "aberwitzigen Politik der grünen Transformation" und einer Deindustrialisierung und griff die Regierung wegen ihrer Migrationspolitik an.
Direkt nach Weidel sprach Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er machte zunächst klar: "Bei aller Kritik an der Ampel und ihren Fehlern sind all die, die Verantwortung getragen haben, Demokraten. Das ist der grundlegende Unterschied zu dem selbstgerechten Geschrei, das wir gerade gehört haben." Damit war das Lob aber auch verteilt. "Sie werden in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als die schwächste Bundesregierung aller Zeiten eingehen", umschrieb Söder die Bilanz der Ampel.
SPD-Spitze will eine Debatte um die Kanzlerfrage derzeit vermeiden
Weniger kämpferisch, sondern mehr um Beruhigung und Ausgleich bemüht präsentierte sich der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Er riet dazu, "den Blick vom Rückspiegel zu nehmen und wieder nach vorne zu richten". Es sei "sehr gut", dass es einen Termin für Neuwahlen gebe, der Klarheit schaffe. Vor allem wirtschaftlich brauche es neue Impulse. Keinem sei geholfen, wenn die politische Auseinandersetzung zum "Schlamm-Catchen" verkomme.
Heidi Reichinnek (Die Linke) attackierte vor allem Friedrich Merz. Er habe in der Diskussion um einen Termin für die Neuwahl zur Eile gemahnt, dabei sei es wichtig, dass Wahlen ordentlich vorbereitet würden und geregelt abliefen.
Sahra Wagenknecht (BSW) warf dem Bundeskanzler und den in der Regierung verbliebenen Parteien SPD und Grüne vor, dass die "Existenzangst der Menschen sie nicht kümmert". Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck wollten ins nächste Kabinett: "Da können normale Leute, die sich jeden Tag in ihren Job bewähren müssen, nur fassungslos mit dem Kopf schütteln", sagte sie.
Ob die SPD tatsächlich mit Olaf Scholz oder einem anderen Kanzlerkandidaten in den Wahlkampf zieht, soll ein Parteitag entscheiden, den die Sozialdemokraten voraussichtlich am 11. Januar abhalten wollen.
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