Gastkommentare : Sorge vor ungewollten Mehrheiten im Bundestag?
Muss bei Abstimmungen im Bundestag unbedingt vermieden werden, dass es eine Mehrheit nur mit AfD-Stimmen gibt? Eckart Lohse und Malte Lehming im Pro und Contra.
Pro
Eine Verlockung für die AfD
Nun stehen die Termine für Vertrauensfrage und vorzeitige Bundestagswahl. Es kann losgehen mit dem Wahlkampf, die Aufstellung noch nicht benannter Kandidaten ist eine lösbare Aufgabe, das Drucken von Wahlzetteln ebenso, und im Winter hat schon mancher Wahlkampf stattgefunden. Aber bis zu einer reibungslosen Wahl und der Bildung einer neuen Bundesregierung kann noch eine Menge geschehen. Vor allem im Bundestag. Als Gerhard Schröder 2005 eine vorgezogene Wahl auslöste, hatte er bis zum Wahltag eine Mehrheit im Bundestag. Die hat Olaf Scholz nicht.
Die SPD versucht die Union noch für das ein oder andere Gesetz auf ihre Seite zu ziehen. Vergleichsweise einfach dürfte es noch sein, einen Beschluss zum besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts gegen populistische Angriffe zu fassen. Da dürften Union und Ampelparteien ihren schon ausgehandelten Kompromiss gemeinsam beschließen.
Aber was, wenn die nur noch aus SPD und Grünen bestehende Restampel jenseits der mit der Union vereinbarten Vorhaben weitere Entwürfe einbringt? Und statt CDU und CSU dann die AfD zustimmt? Darüber wird in der SPD wie auch in der CDU diskutiert. Man will es auf jeden Fall vermeiden.
Der schlimmste denkbare Fall träte ein, wenn Olaf Scholz die Vertrauensfrage nicht verliert, weil die AfD für ihn stimmt. Ihre Wähler hätten vermutlich einen solchen Spaß daran zu sehen, wie die "Systemparteien" vorgeführt werden, dass sie höchst einverstanden mit einem solchen Manöver wären, auch wenn die AfD bislang immer auf Scholz und seine Ampel eingedroschen hat. Übertriebene Angst? Hoffentlich. Aber man sollte die Verlockung, die das Fehlen einer Mehrheit im Bundestag für die AfD bedeutet, nicht unterschätzen.
Contra
Zu hoher Preis für die Brandmauer
Die AfD vertritt rassistische und ausländerfeindliche Positionen. Sie ist geschichtsrevisionistisch, Teile der Partei werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Es ist richtig, Koalitionen zu bilden, damit die AfD nicht an die Macht kommt. Nicht richtig ist es, aus Angst vor ihr auf Politik zu verzichten. Denn genau dann wird ihr eine Macht verliehen, die sie nicht haben sollte.
Nun haben sich SPD und Union auf eine gemeinsame Linie verständigt, welche Gesetzesvorhaben noch vor dem Neuwahltermin auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt werden sollen. Es sind nicht viele. Die Begründung laut Friedrich Merz: "Zufallsmehrheiten mit der AfD" müssten verhindert werden. Deshalb stellt Merz auch kein konstruktives Misstrauensvotum. Das nämlich könnte dazu führen, dass die AfD einen Kanzler der Union wählt.
"Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt." Das sagte im August 2023 Bundeskanzler Olaf Scholz der "Thüringer Allgemeinen". Wenn durch deren Zustimmung der eigene Antrag eine Mehrheit finde, sei das okay. Im Osten Deutschlands ist das Problem aufgrund der Stärke der AfD noch akuter als im Westen und auf Bundesebene. Aber hier wie dort gilt: Wer strikt ausschließen will, dass Rechtsextreme einer Initiative zustimmen, läuft Gefahr, die demokratische Arbeit zum Erliegen zu bringen.
Seit dem Ampel-Aus hat die Opposition die Mehrheit im Parlament. Merz als Oppositionschef könnte Gesetzesvorlagen einbringen, die seiner Fraktion wichtig sind - er wird es wegen der Brandmauer zur AfD nicht tun.
Das ist hasenfüßig. Besteht der Preis für ein Ausschließen des Beifalls von der falschen Seite darin, dass Mehrheiten nicht zum Ausdruck gebracht werden dürfen, ist der Preis zu hoch. Es gibt auch eine Macht, Politik verhindern zu können. Diese Macht wird der AfD durch das Dogma der Brandmauer zuteil.
Eine Woche nach dem Ampel-Aus gab Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag eine Regierungserklärung ab und damit einen Vorgeschmack auf den anstehenden Wahlkampf.
Der Kompromiss für Neuwahlen am 23. Februar 2025 hat eine Blockade des Parlamentsbetriebs verhindert. Einige Abgeordnete entwickelten indes sogar neuen Eifer.
Von den mehr als 100 laufenden Regierungsvorhaben werden nur wenige das Bundesgesetzblatt von innen sehen. Ein Überblick, wie es um bedeutende Gesetzentwürfe steht.