
19er Runde soll Kontroversen abräumen : Koalitionsverhandlungen gehen in die entscheidende Phase
Unterhändler von Union und SPD verhandeln über den Koalitionsvertrag. Viele strittige Punkte, etwa in der Steuer- oder Migrationspolitik, müssen noch geklärt werden.
Mit großer Spannung und hohen Erwartungen sehen viele Bürger den Vorhaben der geplanten Koalition von Union und SPD entgegen. Seit Mitte März laufen Koalitionsverhandlungen, für die eigentlich Vertraulichkeit vereinbart wurde. Dennoch dringen immer wieder Teilergebnisse nach außen, die freilich noch unter Vorbehalt stehen.
Es wird teils hart um Formulierungen gerungen
Der Koalitionsvertrag stellt wie üblich einen Kompromiss dar, entsprechend hart wird teilweise um Formulierungen gerungen. Auch wenn dieser "Vertrag" rechtlich nicht bindend ist, zeigt die Praxis doch, dass die Regierungen bemüht sind, die Vereinbarungen umzusetzen. Das war in der vergangenen Legislatur auch so, wenngleich am Ende wichtige Vorhaben liegen geblieben sind, weil die Koalition früh zerbrochen ist.
Inzwischen ist es üblich geworden, dass den Koalitionsverhandlungen Sondierungen vorangehen, um in vertieften Gesprächen zu prüfen, ob Bündnisse inhaltlich tragfähig sind. Nach der Bundestagswahl vom 23. Februar 2025 gab es für die siegreiche Union allerdings im Grunde nur eine gangbare Option, nämlich das Bündnis mit den Sozialdemokraten.
Rückendeckung durch das beschlossene Sondervermögen
Den Sondierungen zwischen Union und SPD kam diesmal eine besondere Bedeutung zu, weil die beiden Parteien schon vor den Koalitionsgesprächen und auch vor der Konstituierung des neuen Bundestages eine weitreichende Vereinbarung getroffen haben, das Militär und die Infrastruktur (500 Milliarden Euro) mit üppigen Sondervermögen zu stützen. Dazu beschloss der Bundestag am 18. März mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen eine Grundgesetzänderung, nachdem Union und SPD den Grünen weit entgegengekommen waren.
Damit ist ein zentraler Knackpunkt abgeräumt. Mit dem gewaltigen schuldenfinanzierten Geld lassen sich bestimmte Vereinbarungen einfacher umsetzen, auch wenn damit nicht alle kniffligen Finanzfragen gleich geklärt sind. Rückenwind kam zudem just diese Woche aus Karlsruhe, wo das Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag für rechtens befand. Somit wird die ohnehin komplizierte Haushaltspolitik nicht noch durch zusätzliche Einnahmeausfälle belastet.
„Nun warten die richtig harten Brocken.“
Union und SPD haben sich vorgenommen, die Verhandlungen zügig abzuschließen und zeitnah Ergebnisse vorzustellen. Nach der einwöchigen Sondierung begannen am 13. März die auf lediglich zehn Tage angesetzten fachlichen Verhandlungen. Um die Gespräche zu strukturieren, wurden 16 Facharbeitsgruppen gebildet und mit insgesamt 256 Fachpolitikern bestückt. Jede Arbeitsgruppe umfasst 16 Mitglieder, sieben von der SPD, sechs von der CDU und drei von der CSU. Eine 17. Arbeitsgruppe befasst sich mit der Arbeitsweise der Bundesregierung und der Fraktionen sowie mit dem Wahlrecht, das die Union gerne wieder ändern würde. Das Ziel: Bis Ostern sollte die Regierung stehen.
Der angekündigte Zeitplan könnte wackeln
Die Leitung der Arbeitsgruppen gibt dabei immer Anlass für Spekulationen über die Verteilung der künftigen Spitzenposten. Wer eine AG leitet, steht in herausgehobener Position, allerdings werden Personalfragen immer zuletzt und üblicherweise auch nach regionalen parteipolitischen Proporzaspekten entschieden.
Grundlage der Verhandlungen ist das elfseitige Sondierungspapier, das neben den übergreifenden Finanzierungsfragen bereits konkrete Pläne in den Bereichen Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Migration sowie ausgewählte weitere Vorhaben umfasst.
Die Arbeitsgruppen legten bis zum 24. März ihre Zwischenergebnisse vor, womit die erste Phase der Koalitionsgespräche zu Ende ging. Viele strittige Fragen waren da allerdings offenbar noch nicht geklärt, üblicherweise kenntlich gemacht mit eckigen Klammern im Textentwurf. Die Parteispitzen gaben sich trotzdem zuversichtlich, dass Lösungen gefunden werden. Allerdings könnte der Zeitplan, die Streitpunkte möglichst bereits in der ersten April-Woche endgültig zu klären, wackeln.
19er Runde soll größere Kontroversen abräumen
Die Botschaft lautet: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. SPD-Chef Lars Klingbeil erklärte vorsichtig optimistisch: "Wir kommen voran." Einzelne "Durchstechereien" an die Presse nannte er "ärgerlich". CDU-Chef Friedrich Merz bemühte sich, den Eindruck heftigen Streits zu relativieren und versicherte, die Atmosphäre werde beständig besser.

Die Spitzen von CDU, CSU und SPD wollen auf Augenhöhe verhandeln. In einigen Punkten liegen Union und SPD aber weit auseinander.
Ab diesem Freitag (28. März) soll die Hauptverhandlungsgruppe vertraulich beraten. Die sogenannte 19er Runde, zu der auch die Parteichefs gehören, hat vor allem die Aufgabe, die größten Kontroversen abzuräumen, die sich in den Arbeitsgruppen ergeben haben. Auch ein finaler "Finanzcheck" steht auf der To-do-Liste der künftigen Koalitionäre. Größere Differenzen gibt es offenbar unter anderem noch bei den Steuerplänen sowie in der Sozial- und Migrationspolitik.
Koalitionäre planen einen finalen Finanzcheck
Begleitet werden die Koalitionsverhandlungen wie immer von Forderungen der Fachverbände und gesellschaftlichen Gruppierungen, die darauf hoffen, mit Warnungen und konkreten Vorschlägen gehört und berücksichtigt zu werden, denn was einmal im Koalitionsvertrag steht, hat gute Chancen auf Umsetzung. Umgekehrt gilt: Was dort nicht steht, wird oft auch nicht angegangen.
Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) warnte unterdessen die Koalitionäre vor allzu detaillierten Festlegungen: "Über die Jahre hinweg sind Koalitionsvereinbarungen immer voluminöser geworden und, unfreundlich formuliert, immer wirklichkeitsfremder", kritisierte Lammert im Magazin "Politico". Denn viele wichtige Themen seien zu Beginn der Regierungsarbeit noch gar nicht absehbar.
Parteigremien müssen dem Koalitionsvertrag am Schluss auch noch zustimmen
Verlaufen die Koalitionsverhandlungen erfolgreich, müssen die jeweiligen Parteigremien noch zustimmen, was einige Zeit in Anspruch nehmen kann und mit Unwägbarkeiten verbunden ist. Bei der CDU entscheidet der sogenannte Bundesausschuss mit Vertretern der Parteiführung und aus den Landesverbänden über den Koalitionsvertrag, bei der CSU die Parteispitze. Die SPD plant hingegen eine Mitgliederbefragung.
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