Opposition im neuen Bundestag : Ränder mit viel Macht
Ohne AfD oder Linke gibt es künftig keine Grundgesetzänderungen. Politisch schwierig dürfte für die Opposition das Einsetzen von Untersuchungsausschüssen werden.
Bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags am Dienstag dieser Woche war an der Sitzordnung der 630 Abgeordneten eines deutlich abzulesen: der Zuwachs der Parteien an den Rändern. Während die Mitte von CDU/CSU, SPD und Grünen besetzt ist, nimmt der rechte Block, vertreten durch die AfD, mit 152 Abgeordneten fast ein Viertel des Saales ein. Auf der anderen Seite haben 64 Abgeordnete der Linken Platz. Zusammen sind die beiden Fraktionen nun so groß, dass sie die Fraktionen in der Mitte stark beeinflussen können.

Bei der konstituierenden Sitzung am 25. März zeigt sich deutlich: die politischen Ränder haben im neuen Bundestag an Stärke gewonnen.
Dies könnte bei weitreichenden politischen Entscheidungen wie Grundgesetzänderungen relevant werden. AfD und Linke verfügen zusammen über mehr als ein Drittel der Sitze im Parlament und damit über eine Sperrminorität. Wollte eine mögliche schwarz-rote Koalition beispielsweise das Grundgesetz ändern, wofür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, müsste sie nicht nur die Grünen überzeugen, sondern auch die Zusammenarbeit mit einer der beiden anderen Fraktionen suchen. Mit der AfD schließen die anderen Fraktionen eine Zusammenarbeit jedoch kategorisch aus, die Linke ist für die Union ein rotes Tuch.
Dieses politische Kalkül war einer der Gründe, warum CDU/CSU und SPD noch im alten Bundestag auf eine Grundgesetzänderung zur Lockerung der Schuldenbremse und auf das 500-Milliarden-Sondervermögen für Investitionen drängten. Seinerzeit reichte es mit der Unterstützung der Grünen.
Ministerpräsident Daniel Günther offen für Zusammenarbeit mit Linken
Allerdings haben Union und SPD bereits angekündigt, die Schuldenbremse bis Ende des Jahres erneut reformieren zu wollen. Auch dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig. Der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) müsste dann nicht nur mit den Grünen, sondern auch mit der Linken verhandeln.
Ein solcher Schritt wäre für die CDU ein erheblicher Richtungswechsel - findet aber in der Partei Unterstützung. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warb Anfang der Woche mit Verweis auf die Mehrheitsverhältnisse für Gespräche mit der Linkspartei, um eine umfassende Reform der Schuldenbremse zu ermöglichen.
AfD fehlen sechs Sitze für besondere Minderheitenrechte im Parlament
Der Umgang mit der AfD-Fraktion ist seit dem Einzug der in Teilen rechtsextremen Partei in den Bundestag 2017 kompliziert, und das dürfte auch so bleiben. "Der AfD geht es nur um Posten, nicht um echte Politik", sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast. Wie schon in den vergangenen beiden Legislaturperioden stellt die AfD-Fraktion vorerst keinen Vizepräsidenten im Präsidium. Ihr Kandidat Gerold Otten scheiterte am Dienstag in drei Wahlgängen. Auch bei der Besetzung der Ausschussvorsitze oder der Mitgliedschaft in sicherheitsrelevanten Gremien wie dem Parlamentarischen Kontrollgremium zeichnen sich erneut Konflikte ab.
Doch die aktuelle AfD-Fraktion, die doppelt so groß ist wie in der vorigen Wahlperiode, kann mit Geschäftsordnungsanträgen und -debatten den Ablauf von Bundestags-, Ausschuss- und Ältestenratssitzungen beeinflussen und bremsen. Von einem 25-Prozent-Quorum, das der Minderheit besondere Rechte verleiht, ist die AfD-Fraktion aber sechs Sitze entfernt. Mit 158 Stimmen ließen sich Untersuchungsausschüsse und Enquête-Kommissionen einsetzen und bestimmte Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht erzwingen. Ein Viertel der Abgeordneten kann außerdem ein konstruktives Misstrauensvotum beantragen.
„Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Mieterschutz, und wir sind Friedenspartei.“
Aber auch Grüne und Linke kommen selbst gemeinsam nicht auf die notwendigen Stimmen. Da beide Fraktionen nicht mit der AfD zusammenarbeiten wollen, scheint es derzeit kaum möglich, dass die Opposition im 21. Deutschen Bundestag etwa einen Untersuchungsausschuss durchsetzen kann.
Die Abgeordneten der Linken können sich indes wieder über den Fraktionsstatus freuen. Nach der Auflösung der Fraktion Ende 2023 hatten die Abgeordneten als Gruppe im Vergleich zu einer Fraktion deutlich weniger Rechte, was beispielsweise die Positionierung von Themen auf der Tagesordnung, die Beantragung von Aktuellen Stunden oder die Anzahl der Kleinen Anfragen betraf. Sören Pellmann, Co-Fraktionsvorsitzender, machte Anfang der Woche deutlich, welche politischen Schwerpunkte der Partei wichtig sind: "Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Mieterschutz, und wir sind Friedenspartei."
Die Grünen sortieren sich neu und gehen in die Opposition
Für die 85 Abgeordneten der Grünen begann die Legislatur mit einem Machtkampf. Mit dem Ausscheiden aus der Regierung fallen viele Posten weg, und die Partei muss sich offenbar erst an die neue Rolle gewöhnen. Für den Posten des Bundestagsvizepräsidenten hatte sich neben Claudia Roth, bislang Kulturstaatsministerin, und Omid Nouripour, Ex-Parteichef der Grünen, auch die bisherige Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt beworben. Nouripour wurde im internen Ausscheid im dritten Wahlgang gewählt.
Die Fraktionsführung hielt es für besser, das Abstimmungsergebnis nicht zu veröffentlichen. Britta Haßelmann und Katharina Dröge bleiben an der Fraktionsspitze. Sie haben nach ihrer Wahl am Montagabend umschrieben, wie der neue Kurs aussehen soll: Aggressiver und angriffslustiger wollen die Grünen auftreten, aber staatstragend bleiben. "Mit klarer Haltung, hart und konsequent und in Verantwortung für das Land", sagte Haßelmann.
Mehr zum neuen Bundestag

Die 21. Wahlperiode hat begonnen: Der Bundestag wählt Julia Klöckner (CDU) mit großer Mehrheit zu seiner Präsidentin - und streitet über die Geschäftsordnung.

Männlich, Ende 40 und im Rechtswesen tätig – statistisch ist das der durchschnittliche Parlamentarier der neuen Wahlperiode. Weitere Fakten zu den Abgeordneten.

Im und um den Bundestag herrscht Hektik und Vorfreude auf die erste Sitzung. Ein Einblick in einen Tag im politischen Berlin zwischen Ritual und Neustart.