Piwik Webtracking Image

Dauer der Regierungsbildungen : Rekordmarken in der Ära Merkel

Bis zur Vereidigung eines neuen Kabinetts sind schon Monate ins Land gegangen. Bisweilen dauerte es aber auch nur wenige Wochen. Ein Überblick.

24.03.2025
True 2025-03-25T09:40:53.3600Z
6 Min

Schon am Tag vor dem Bundestagsvotum über die viele Milliarden Euro umfassenden Schuldenpakete hat der CDU-Vorsitzende und voraussichtlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz von ihm selbst geweckte Erwartungen gedämpft, dass die Regierungsbildung bis Ostern abgeschlossen sein wird. Dies könne zwar nach wie vor möglich sein, doch gehe für ihn bei den großen, noch zu behandelnden Themen „Gründlichkeit vor Schnelligkeit", sagte Merz Anfang vergangener Woche. Die neue Regierung solle lieber eine Woche später stehen, als unter Zeitdruck einen Koalitionsvertrag zu beschließen, "der zu viele Fragen offenlässt". 

Mehr zum Thema

Mehr zum Thema So läuft die Konstituierung des Bundestages ab
Start der neuen Wahlperiode: So läuft die Konstituierung des Bundestages ab

Bis Ostersonntag, der in diesem Jahr auf den 20. April fällt, sind seit der Bundestagswahl vom 23. Februar 56 Tage vergangen; eine Woche danach wären es also 63 Tage. Damit blieben Union und Sozialdemokraten so oder so klar unter den 73 Tagen, die die Ampel-Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP nach der Bundestagswahl von 2021 bis zur Regierungsbildung benötigt hatten. Und es ginge auch deutlich schneller als bei den beiden vorherigen Koalitionsverhandlungen nach den Wahlen von 2017 und 2013, an deren Ende sich CDU, CSU und SPD zu einem Regierungsbündnis unter Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammenfanden. 

Der Rekord: 171 Tage dauerte die vorletzte Regierungsbildung

Dabei hatte es nach der Bundestagswahl vom 24. September 2017 mehr als fünfeinhalb Monate gedauert bis zu Merkels Wiederwahl. Geschmiedet werden sollte damals zunächst eine schwarz-gelb-grüne "Jamaika"-Koalition – das einzige mehrheitsfähig scheinende Bündnis, das der Wahlausgang zuließ außer der rechnerisch ebenfalls möglichen Neuauflage der großen Koalition, der die SPD indes bereits am Wahlabend eine eindeutige Absage erteilt hatte.

Foto: picture alliance/Bernd von Jutrczenka/dpa

Fast zwei Monate waren schon seit der Bundestagswahl 2017 vergangen, als FDP-Chef Christian Lindner die "Jamaika"-Gespräche mit Union und Grünen platzen ließ und die Suche nach einer tragfähigen Koalition von vorn beginnen musste.

Erst nach der Niedersachsen-Wahl Mitte Oktober begannen die Sondierungen, die schon wegen der Zahl der beteiligten Parteien, aber auch aufgrund weit auseinander liegender Positionen als schwierig galten. Dennoch kam es für viele überraschend, als nach einer Reihe von Gesprächsrunden FDP-Chef Christian Linder die Verhandlungen am 19. November spätabends für gescheitert erklärte.

Nach Unterredungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Spitzen der im Parlament vertretenen Parteien mussten noch SPD-Parteitage erst grünes Licht für Sondierungsgespräche mit der Union, danach für Koalitionsverhandlungen geben, die am 26. Januar 2018 begannen. Über ihr Ergebnis entschieden die Sozialdemokraten in einer Mitgliederbefragung, bevor der Koalitionsvertrag unterzeichnet wurde; am 14. März wählte der Bundestag Merkel zum vierten Mal zur Kanzlerin, danach wurde das neue Kabinett vereidigt - ganze 171 Tage nach der Bundestagswahl. 

Immer längere Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD

Ohnedies hatten Union und SPD in der Ära Merkel die Dauer der Regierungsbildungen zu immer neuen Höchstmarken getrieben: Schon 2005 bei "Merkel I" zogen sich die Gespräche über ein noch als „Große Koalition“ firmierendes Regierungsbündnis zwischen ihnen über eine bis dahin unbekannte Dauer hin. Spekulationen über ein Jamaika-Bündnis verstummten damals erst nach Sondierungen, und als Union und SPD nach einer Nachwahl in Dresden schließlich Koalitionsverhandlungen begannen, war schon rund ein Monat seit der Wahl vorbei. Insgesamt dauerte es 65 Tage, bis erstmals eine Frau zur Bundeskanzlerin gewählt und ihr Kabinett vereidigt wurde.

Dieser Rekord hielt nur acht Jahre; dann standen nach dem von 2009 bis 2013 währenden Intermezzo des "Merkel II"-Bündnisses mit der FDP erneut Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten an. Über den von Union und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag stimmten die Sozialdemokraten auch damals per Mitgliederentscheid ab. Am Ende nahm die Regierungsbildung 86 Tage in Anspruch: Erst am 17. Dezember 2013 wurde Merkel erneut zur Kanzlerin gewählt und ihr drittes Kabinett vereidigt, fast drei Monate nach der Bundestagswahl.

Hauptausschuss ersetzte vorübergehend Fachausschüsse

So lange konnte - und kann - der Bundestag selbst nicht warten. Er tritt, so ist es im Grundgesetz festgelegt, "spätestens am 30. Tag nach der Wahl zusammen", also in diesem Jahr am kommenden Dienstag, dem 25. März. Und damit nicht genug, legt ihm die Verfassung auch auf, eine Reihe von Ausschüssen zu bestellen: einen Petitionsausschuss, einen "Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union" sowie "einen Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und einen Ausschuss für Verteidigung". 

Mehr dazu

Mehr zum Thema Bundestag setzt erstmals Hauptausschuss ein
Vor 10 Jahren...: Bundestag setzt erstmals Hauptausschuss ein

2013 wie 2017 stellte sich das Problem, dass sich in den meisten Bundestagsausschüssen der Ressortzuschnitt der Bundesministerien widerspiegelt - was ohne diesen Zuschnitt schwierig ist. Wer aber soll dann etwa Beschlussempfehlungen zu diversen Vorlagen erarbeiten, die normalerweise an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden?

Ende November 2013 setzte der Bundestag daher erstmals in seiner Geschichte einen "Hauptausschuss" ein; das Gremium war "Ausschuss im Sinne der Grundgesetzartikel 45, 45a und 45c", die die Bestellung der in der Verfassung vorgeschriebenen Ausschüsse vorgeben, sowie "Haushaltsausschuss im Sinne der entsprechenden gesetzlichen und geschäftsordnungsrechtlichen Vorgaben" und löste sich am 15. Januar 2014 mit der Konstituierung der ständigen Ausschüsse auf. Das Ganze wiederholte sich zu Beginn der folgenden Wahlperiode, wobei 2017 neben dem Hauptausschuss auch gleich der Petitions- sowie der Geschäftsordnungsausschuss eingesetzt wurden.

Zweimal stand die Regierung schon nach dreieinhalb Wochen

In den Jahrzehnten vor Merkel war die Regierungsbildung von 1961 mit 58 Tagen die längste in der Geschichte der Republik. Seinerzeit mussten sich Union und FDP nach vier Jahren absoluter CDU/CSU-Mehrheit wieder zu einer Regierung unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU) zusammenfinden - von dessen Rücktritt während der neuen Wahlperiode die FDP die Koalition abhängig machte.

Wie vor seiner Vereidigung 1957 war der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer (CDU), in seiner 14 Jahre währenden Amtszeit vom Bundestag schon vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen zum Regierungschef gewählt worden.   Foto: picture alliance/Kurt Rohwedder

Mit jeweils 24 Tagen am schnellsten ging es 1969 und 1983. Das wird im März 1983 weniger überrascht haben als 14 Jahre vorher, hatten doch Union und FDP erst ein halbes Jahr zuvor, im September 1982, Koalitionsverhandlungen geführt, bevor sie Kanzler Helmut Schmidt (SPD) per konstruktivem Misstrauensvotum durch Kohl ablösten; nun war das neue Bündnis vom Wähler bestätigt und konnte Fahrt aufnehmen.

1969 dagegen ging es nach der ersten großen Koalition um die erstmalige Bildung eines sozialliberalen Bündnisses. Auf dieses Bündnis hatten sich die Vorsitzenden von SPD und FDP, Willy Brandt und Walter Scheel, noch in der Wahlnacht verständigt, obgleich die Union stärkste Kraft geworden war. Freilich hatte sich die Koalitionsbereitschaft von Sozial- und Freidemokraten schon bei der Bundespräsidentenwahl im März 1969 gezeigt, bei der der SPD-Kandidat Gustav Heinemann mit den Stimmen der Liberalen ins höchste Staatsamt gewählt wurde. Auch 1972 benötigten SPD und FDP mit 26 Tagen eine verhältnismäßig kurze Zeitspanne bis zum Abschluss der Regierungsbildung.

Einmal lag der Wahltermin weit vor dem Ende der Legislaturperiode

1980 schafften es SPD und FDP, in 32 Tagen eine Regierung zu bilden. Ein Sonderfall war 1976, als der Wahltermin mehr als zwei Monate vor dem Ablauf der Legislaturperiode lag. Der neue Bundestag wurde am 3. Oktober gewählt, doch endete die vorangegangene Wahlperiode erst am 13. Dezember. Drei Tage später wurde das neue Kabinett vereidigt – 74 Tage nach der Wahl. Diese Frist ist indes nicht mit der anderer Legislaturperioden zu vergleichen.

32 Tage brauchten Union und FDP 1994 beim Start der letzten Regierung Kohl, nachdem sie 1987 und 1990 noch 46 beziehungsweise 47 Tage in Anspruch genommen hatten.

Rot-Grün langten 1998 und 2002 jeweils 30 Tage 

Mit jeweils 30 Tagen ging es 1998 und 2002 bei Rot-Grün deutlich schneller. SPD und Grüne blieben damit auch unter den Zeitspannen, die die Regierungsbildung in den Anfangsjahren der Republik erforderte: Waren es 1949 bei der ersten, von CDU, CSU, FDP und der Deutschen Partei (DP) getragenen Bundesregierung noch 37 Tage, dauerte es bei der Bundestagswahl 1953 schon 44 Tage - mit dem "Gesamtdeutschem Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" als fünftem Partner.

Dass die Dauer der Regierungsbildung nicht unbedingt von der Zahl der Koalitionäre abhängt, zeigte sich 1957, als die Union die absolute Mehrheit geholt hatte, aber dennoch die DP mit in die Regierung nahm. Auch jetzt dauerte es 44 Tage, bis das Kabinett Ende Oktober vereidigt war; die eigentlichen Koalitionsverhandlungen zogen sich mehr als einen Monat hin.

Meinung

Mehr zum Thema Ein Pro und Contra: Frist zur Regierungsbildung einführen?
Gastkommentare: Ein Pro und Contra: Frist zur Regierungsbildung einführen?

Vier Jahre nach der erwähnten 58-Tage-Spanne von 1961 brauchten CDU, CSU und FDP 1965 wieder 37 Tage für die Regierungsbildung. Zu den schnelleren Regierungsbildungen zwischen Union und Liberalen zählt schließlich die von 2009 mit 31 Tagen. Damals ließ Merkel kurz nach der Wahl vom 27. September wissen, dass sie ihre neue Regierung spätestens am 9. November im Amt sehen wollte, wenn sie die Staats- und Regierungschefs anderer Länder zum 20. Jahrestag des Mauerfalls begrüßen würde. Das ließ sich machen: Am 28. Oktober wurde sie wiedergewählt und ihr neues Kabinett vereidigt.

Von der Bundestagswahl bis zur Vereidigung des Kabinetts

Gemessen wird die Dauer der Regierungsbildungen übrigens vom Tag der Bundestagswahl bis zur Vereidigung des Kabinetts - nicht etwa bis zur Kanzlerwahl. Das liegt daran, dass der Regierungschef schon vor Ende der Koalitionsverhandlungen gewählt werden kann. Bei Adenauers vier Kanzlerwahlen war das sowohl 1949 und 1953 als auch 1957 und 1961 der Fall. Dabei wurde 1953 sogar noch ganze zehn Tage nach der Wahl des Regierungschefs weiterverhandelt.

Auch interessant

Abgeordnete kommen zur letzten Fraktionssitzung der FDP im Bundestag.
Liquidation einer Fraktion: Auflösung der FDP-Fraktion wirft viele Fragen auf
Die Fraktion der Freien Demokraten im Bundestag steht vor einer letzten großen Abstimmung und ihrer Auflösung. Alles innerhalb weniger Tage.
Auf den Stühlen und Tischen im Plenarsaal liegen Taschen und Unterlagen.
Der neue Bundestag in Zahlen: So sieht der 21. Deutsche Bundestag aus
Männlich, Ende 40 und im Rechtswesen tätig – statistisch ist das der durchschnittliche Parlamentarier der neuen Wahlperiode. Weitere Fakten zu den Abgeordneten.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) im Porträt.
Friedrich Merz im Porträt: Der Eigensinnige
Wie tickt der voraussichtlich nächste Bundeskanzler? Die Journalisten Volker Resing und Sara Sievert zeichnen den Weg des Christdemokraten Friedrich Merz nach.