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Weg ins Kanzleramt : Wie die Kanzlerwahl funktioniert

Vom Vorschlag des Bundespräsidenten bis zur Vereidigung im Bundestag: Die Wahl folgt einem Verfahren, das Verantwortung verteilt – und Demokratie sichtbar macht.

16.04.2025
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4 Min

Wer entscheidet, wenn es um eins der wichtigsten Ämter des Landes geht: das des Kanzlers? Die Kanzlerwahl ist ein Verfahren mit klaren Regeln, bei dem das Staatsoberhaupt den Takt vorgibt und das Parlament das Verfahren führt.

Die Wahl des Kanzlers ist eine der ersten Aufgaben des neu gewählten Bundestages. Allerdings kann das Parlament den ersten Schritt nicht selbst tun: Nach Artikel 63 Absatz 1 des Grundgesetzes gibt der Bundespräsident den Startschuss. Er ist es, der dem Parlament einen Kandidaten vorschlägt, über den die Abgeordneten in geheimer Wahl abstimmen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Ablauf der Kanzlerwahl im Bundestag und dazu, wie Deutschlands Regierungschef ins Amt kommt im Überblick:

Wer kann Bundeskanzler werden?

Zum Bundeskanzler gewählt werden können Deutsche, die das aktive und passive Wahlrecht zum Bundestag besitzen. Aktives Wahlrecht bedeutet, dass sie den Bundestag wählen dürfen (wahlberechtigt), passives Wahlrecht bedeutet, dass sie selbst in den Bundestag gewählt werden könnten (wählbar). Aber: Ein Bundeskanzler muss nicht Bundestagsabgeordneter sein.

Wer wählt den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin?

Alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie tun dies meist in den ersten Wochen einer neuen Wahlperiode. Eine Direktwahl durch das Volk sieht das Grundgesetz nicht vor. 

Gibt es schon einen konkreten Termin für die Kanzlerwahl?

Ja. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat am Montag mitgeteilt, dass sie die Einberufung des Bundestages zur Wahl des Bundeskanzlers für Dienstag, den 6. Mai 2025 vorbereitet. Die Einberufung steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung von CDU, CSU und SPD zum Koalitionsvertrag. Außerdem muss der Bundespräsident einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten.

Zu den Formalitäten: Wer darf einen Kandidaten vorschlagen?

Der Bundespräsident. Er schlägt nach Gesprächen mit den Bundestagsfraktionen eine Kandidatin oder einen Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers vor. Über diesen Vorschlag stimmt der Bundestag ab. Wen der Bundespräsident vorschlägt und wann er das tut, liegt in seinem Ermessen – eine feste Frist nennt das Grundgesetz nicht. Das Staatsoberhaupt schlägt aber eine Person vor, von der er annimmt, dass sie eine Mehrheit im Bundestag findet, in der Regel also die Kanzlerkandidatin oder den Kanzlerkandidaten einer Partei. Bei sehr langen oder gescheiterten Koalitionsverhandlungen kann er mit einem Vorschlag auch das Wahlverfahren in Gang setzen.

Was bedeutet „Kanzlermehrheit“ – und warum ist sie wichtig?

Der vorgeschlagene Kandidat benötigt die absolute Mehrheit der Stimmen des Parlaments. Das heißt: Mehr als die Hälfte aller gewählten Abgeordneten im Bundestag müssen für den Kandidaten stimmen. Momentan sind das 316 Stimmen. Die Kanzlermehrheit gilt als Ausdruck stabiler Regierungsfähigkeit und soll verhindern, dass ein Kanzler mit wechselnden Mehrheiten oder rein zufällig ins Amt kommt. 

Wie genau läuft die Kanzlerwahl im Bundestag ab?

Die Kanzlerwahl kann aus bis zu drei Wahlphasen bestehen – bisher hat in der Geschichte der Bundesrepublik allerdings immer die erste Phase ausgereicht.

Die Wahl des Bundeskanzlers durch die Abgeordneten findet ohne vorherige Aussprache mit verdeckten Stimmzetteln statt – also geheim. Nach der Geschäftsordnung des Bundestages dürfen die Stimmzettel erst vor Betreten der Wahlkabine ausgegeben werden. Die Abgeordneten werden zur geheimen Wahl namentlich aufgerufen. 

In der ersten Wahlphase benötigt der Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen, es gibt nur einen Wahlgang. Wird diese Mehrheit nicht erreicht, folgt eine zweite Wahlphase. Der Bundestag hat dann zwei Wochen Zeit, um diese Person oder eine andere Kandidatin oder einen anderen Kandidaten zum Kanzler zu wählen. Der Vorschlag für einen Kandidaten muss aus dem Bundestag kommen. Die Zahl der Wahlgänge ist nicht begrenzt. Auch dann ist die absolute Mehrheit erforderlich.

Foto: DBT / Werner Schüring

Bei der geheimen Wahl erhält jeder Abgeordnete einen amtlichen Stimmzettel plus Umschlag, der in einer Wahlkabine ausgefüllt und unter Aufsicht der Schriftführer in die Wahlurne geworfen wird.

Scheitern auch diese Versuche in den 14 Tagen, so muss in einer dritten Phase „unverzüglich“ ein neuer Wahlgang stattfinden. Um gewählt zu werden, reicht dann die relative Mehrheit: gewählt ist, wer die meisten abgegebenen Stimmen erhält.

Der Bundespräsident ist wieder am Zug: Ist die absolute Mehrheit erreicht, muss das Staatsoberhaupt die gewählte Person zum Bundeskanzler ernennen. Wird die Mehrheit verfehlt, kann er den Gewählten entweder ernennen oder er löst den Bundestag auf und ruft Neuwahlen aus – in diesem Fall muss innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden.

Was passiert im Anschluss an die Wahl?

Kommt die Mehrheit zustande, wird der Kandidat von der Bundestagspräsidentin vereidigt. Der Amtseid lautet: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ Es geht auch ohne Glaubensbekenntnis. Mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde durch den Bundespräsidenten beginnt die Amtszeit.

Der Kanzler hat dann die Möglichkeit, seine Bundesministerinnen und -minister vorzuschlagen, um eine Regierung zu bilden. Welche Ministerien es geben wird und wer welchen Posten übernimmt, haben die Parteien festgelegt beziehungsweise verhandelt. Auch alle Ministerinnen und Minister müssen vor dem Bundestag vereidigt und vom Bundespräsidenten ernannt werden. Gewählt werden sie nicht.

Gab es schon Kanzlerwahlen mit sehr knappen Mehrheiten?

Ja. Der erste deutsche Bundeskanzler, Konrad Adenauer (CDU), erhielt bei seiner Wahl im September 1949 genau die Anzahl an Stimmen, die er benötigte. Auch bei der Kanzlerwahl von Helmut Schmidt (SPD) im Dezember 1976 war es knapp: Er erhielt nur eine Stimme mehr als nötig.

Kann ein Kanzler auch abgewählt werden?

Ja, der Bundeskanzler kann – ausschließlich – vom Parlament abgewählt werden. Wenn die Abgeordneten dem Kanzler nicht länger vertrauen, können sie ihm das Misstrauen aussprechen. Beim sogenannten konstruktiven Misstrauensvotum müssen sie sich auf einen Nachfolger einigen, der von der absoluten Mehrheit gewählt werden muss. Gelingt dies, entlässt der Bundespräsident den amtierenden Kanzler und ernennt den Nachfolger. Tritt ein Bundeskanzler zurück, muss der Bundestag einen neuen Kanzler wählen. Bis dahin führt der alte Kanzler die Geschäfte weiter - das Parlament bleibt also immer in der Verantwortung.

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