Piwik Webtracking Image

Foto: picture alliance/M. Schutt
Mit der Konstituierung des neuen Thüringer Landtags am Donnerstag gibt die Linkspolitikerin Birgit Pommer nach fünf Jahren ihr Amt als Landtagspräsidentin ab. Wer ihr folgt, ist offen.

Birgit Pommer im Interview : "Eine Mehrheit wäre in Thüringen da"

Thüringens scheidende Landtagspräsidentin über schwierige Mehrheitsverhältnisse, die neue Stärke der AfD und vertane Chancen, die Demokratie besser zu schützen.

25.09.2024
True 2024-09-27T16:03:56.7200Z
6 Min

Frau Pommer, wenn sich der Thüringer Landtag morgen konstituiert, wird das Ihr letzter Tag als Landtagspräsidentin sein. Mit welchen Gefühlen scheiden Sie aus dem Amt?

Birgit Pommer: Die fünf Jahre als Präsidentin haben Spuren hinterlassen, denn es war alles andere als eine normale Legislaturperiode. Zum Auftakt passierte gleich Unerwartetes: Ich leitete die Sitzung, als Thomas Kemmerich am 5. Februar 2020 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde.

Der FDP-Politiker kam mutmaßlich mit Stimmen der AfD ins Amt. Das erschütterte damals nicht nur Thüringen, sondern die Bundesrepublik. Die Kanzlerin intervenierte, FDP-Chef Lindner zwang Kemmerich dann zum Rücktritt... 

Birgit Pommer: Kemmerich war Mitglied der kleinsten Fraktion und erkennbar nicht vorbereitet. Ich erinnere mich noch, wie ich ihn fragte: 'Stellen Sie jetzt Ihr Kabinett vor?', und er darauf gar nicht antworten konnte. Die drei Tage bis zu seinem Rücktritt gehören zu den herausforderndsten in meiner Amtszeit. Doch jetzt aus dem Landtag auszuscheiden, in einer Situation, die politisch noch komplizierter ist als die damals, lässt mich unruhig zurück.

Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Birgit Pommer, damals hieß sie noch Keller, gratuliert Thomas Kemmerich: Der FDP-Politiker war 2020 mutmaßlich mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt worden. Das löste ein politisches Erdbeben aus.

Wovor Verfassungsrechtler lange gewarnt haben, ist nun eingetreten: Die AfD ist in Thüringen stärkste Kraft und verfügt über eine Sperrminorität. Sie kann damit Verfassungsänderungen, Richterwahlen oder die Auflösung des Parlaments für Neuwahlen blockieren. Warum konnten sich die Fraktionen im Landtag nicht rechtzeitig auf Änderungen von Geschäftsordnung und Verfassung einigen, um solche Einfallstore zu schließen?

Birgit Pommer: Vertreter des Verfassungsblogs hatten mir und dem Parlament, Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich für solche Eventualitäten zu wappnen wäre...

Sie erhielten Handlungsempfehlungen, wie zum Beispiel der Thüringer Verfassungsgerichtshof - ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht - besser geschützt oder Risiken rund um die Ministerpräsidentenwahl reduziert werden können?

Birgit Pommer: Ja, aber das Parlament ist den Vorschlägen nicht gefolgt, obwohl es Diskussionen und auch konkrete Initiativen der Fraktionen dazu gab. Es braucht eben Mehrheiten, bei Verfassungsänderungen sogar Zweidrittelmehrheiten, und die waren am Ende nicht da. Ältestenrat und Landtagsverwaltung haben sich auch mit einer Konkretisierung des Vorschlagsrechts für das Amt des Landtagspräsidenten in der Geschäftsordnung befasst, aber letztlich keinen Handlungsbedarf für eine Änderung gesehen.


„Wir haben es in Zeiten der multiplen Krisen erkennbar nicht verstanden, den Menschen ihre Sorgen und Ängste zu nehmen.“
Birgit Pommer (Die Linke)

Die Geschäftsordnung gewährt der stärksten Fraktion das Vorschlagsrecht für das Landtagspräsidentenamt. Umstritten ist, ob im dritten Wahlgang auch anderen Fraktionen Kandidaten aufstellen können, wenn der Kandidat der stärksten Fraktion zwei Mal abgelehnt wurde. Das macht die Wahl Ihres Nachfolgers oder Ihrer Nachfolgerin am Donnerstag spannend. Die AfD reklamiert den Posten für sich, hat auch bereits eine Kandidatin nominiert. Die anderen Parteien werden sie aber voraussichtlich nicht wählen. Droht eine Hängepartie?

Birgit Pommer: Das ist schwer zu sagen. CDU und BSW haben einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung eingebracht, über den noch vor der Wahl des Landtagspräsidenten abgestimmt werden soll. Geht der Antrag durch, könnten bereits ab dem ersten Wahlgang alle Fraktionen einen Vorschlag für einen Kandidaten machen. Der Wahl eines Landtagspräsidenten stünde dann nichts im Weg.

Kommt es nicht auf den Alterspräsidenten Jürgen Treutler an? Er ist Mitglied der AfD - und die hat längst deutlich gemacht, dass sie den Antrag für unzulässig hält. Sie könnte in der Sache das Thüringische Verfassungsgericht anrufen.

Birgit Pommer: Da wäre ich gelassen. Der Alterspräsident hat nur ein Recht und eine Pflicht - nämlich die Sitzung zu leiten. Gemäß der Geschäftsordnung kann er zwar, um auf Störungen oder Unruhe zu reagieren, auch eine Sitzung unterbrechen. Politische Rechte, die ihn über das Parlament heben, hat er aber nicht. Das Parlament ist der Souverän - und als solcher kann es die Tagesordnung ändern. Auch ein Verfassungsgericht könnte dies dem Parlament nicht untersagen.

Die Linke, der Sie angehören, hat im Wahlkampf die AfD zum "Hauptgegner" erklärt. Verhindern konnte das den Erfolg der vom Thüringer Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextrem" eingestuften Partei nicht. Im Gegenteil: Die AfD hat ihre Stimmanteile von 28,4 Prozent auf 32,8 Prozent ausbauen können. War die Strategie der Linken falsch?

Birgit Pommer: Nein. Aber wir haben es in Zeiten der multiplen Krisen - die Pandemie, der Ukraine-Krieg und der Klimawandel - erkennbar nicht verstanden, den Menschen ihre Sorgen und Ängste zu nehmen. Bei den Wählerinnen und Wählern konnte die AfD deshalb mit einfachen Botschaften punkten.

Foto: picture alliance/M. Schutt
Birgit Pommer
Birgit Pommer (65) ist seit dem 26. November 2019 Präsidentin des Thüringer Landtags. Davor war die Linkspolitikerin unter Ministerpräsident Bodo Ramelow fünf Jahre Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft. Von 2012 bis 2014 war sie Landrätin im Landkreis Nordhausen.
Foto: picture alliance/M. Schutt

Ihre Partei stürzte bei der Wahl von 31 Prozent auf 13,1 Prozent der Stimmen ab. In Brandenburg konnte sie gar nicht mehr in den Landtag einziehen. Zum ersten Mal wird es einen ostdeutschen Landtag ohne die Linke geben. Was raten Sie ihr: Wie sollte sie sich gegen den schleichenden Bedeutungsverlust stemmen?

Birgit Pommer: Der innerparteiliche Streit und schließlich die Abspaltung des BSW haben uns massiv geschadet, deutlicher könnte das Ergebnis der Landtagswahlen dies kaum zeigen. Aufwärts wird es nur wieder gehen, wenn die Linke ihr Profil wieder schärft und Kernforderungen wie die nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt.

Fünf Jahre lang hatte Thüringen eine Minderheitsregierung. Der noch amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow hat offen zugegeben, wie schwierig das war. Kein Gesetz, kein Haushalt war möglich ohne die Opposition. Wie haben Sie das im Landtag erlebt?

Birgit Pommer: Ähnlich kompliziert, insbesondere im Ältestenrat. Als Parlamentspräsidentin führe ich dieses Gremium, dem Vertreter aller Fraktionen und auch der Gruppe der FDP angehören, und das unter anderem die Tagesordnung festlegt. Wenn sich die Fraktionen zuvor nicht auf die Tagesordnung einigen konnten, gab es im Ältestenrat lange Diskussionen.


„Minderheitsregierungen können sehr wohl erfolgreich sein.“
Birgit Pommer (Die Linke)

Parlamentarische Arbeit basiert auch auf Gepflogenheiten und gemeinsamen Spielregeln. Die stellt die AfD oft in Frage. Wie zeigte sich das im Thüringer Landtag?

Birgit Pommer: Ein Beispiel dafür, wie die AfD agiert, ist die Wahl der Schriftführerinnen und Schriftführer: Fünf Jahre lang hat die AfD versucht, die Besetzung dieser Posten an die Wahl von AfD-Kandidaten für das Amt des Vizelandtagspräsidenten zu knüpfen. Weil ihre Kandidaten im Plenum nicht gewählt wurden, hat sie sich geweigert, Schriftführer zu stellen - die Folge war Mehrarbeit für die anderen.

Als Parlamentspräsidentin war es Ihre Aufgabe, über die Einhaltung der parlamentarischen Ordnung zu wachen. Wann war das besonders schwer?

Birgit Pommer: Wenn hitzig debattiert wird, ist es nicht einfach, dafür zu sorgen, dass die Angriffe nicht persönlich oder beleidigend werden. Leider ist es genau dazu in den vergangenen fünf Jahren häufiger gekommen. Reizthemen waren unter anderem die Klimapolitik und die Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Standen sie auf der Tagesordnung, hielt es manche im Streit kaum auf den Plätzen. Der Respekt für das Gegenüber ging dabei oftmals verloren. Die steigende Zahl der Ordnungsrufe belegt das.

Mehr zu den Landtagswahlen

Abgeordnete stimmen im Plenarsaal des Thüringer Landtags ab
Blockaden möglich: Was es bedeutet, wenn eine Partei die Sperrminorität hat
Nach den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg verfügt die AfD in zwei der drei Landtage über eine Sperrminorität. Das kann vielfältige Folgen haben.
Dietmar Woidke und seine Frau Susanne stehen mit Blumen auf einer Bühne
SPD gewinnt Landtagswahl in Brandenburg: Woidke hat hoch gepokert und knapp gewonnen
Die SPD hat die Landtagswahl in Brandenburg gewonnen und die AfD auf Abstand gehalten. Im neuen Landtag sind allerdings nur noch vier Parteien vertreten.
Die parlamentarischen Geschäftsführer beraten sich im Thüringer Landtag
Konstituierung des Thüringer Landtages abgebrochen: Streit ums Präsidentenamt in Erfurt eskaliert
Die konstituierende Sitzung endete mit einem Eklat. Nun muss das Verfassungsgericht entscheiden, wie es weitergeht. Die AfD hat aber künftig noch ein Druckmittel.

Wie zerstritten die Fraktionen waren, zeigt auch die Nicht-Besetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das für die Verfassungsschutzkontrolle zuständig ist. Immer wieder scheiterten Kandidaten der AfD, der Linken und der Grünen an der Wahl, sodass sich das Gremium nicht konstituieren konnte. Nun ist die Lage mit der AfD-Sperrminorität noch verzwickter: Wäre es nicht Zeit für mehr Sachpolitik und weniger Grabenkämpfe?

Birgit Pommer: Angesichts der großen gesellschaftlichen Herausforderungen wäre es tatsächlich wünschenswert, wenn es statt um Parteigeplänkel mehr um Bürgerinteressen ginge. Eine stabile Mehrheit würde dabei helfen. Minderheitsregierungen können sehr wohl erfolgreich sein, das zeigt allein die vergangene Wahlperiode mit 146 beschlossenen Gesetzen. Aber die voraussichtlich nächste Regierungskoalition aus CDU, BSW und SPD müsste keine Minderheitsregierung sein.

Sie spielen auf den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU an, der Koalitionen mit AfD und Linkspartei verbietet?

Birgit Pommer: Ja, eine Mehrheit wäre da. Doch ich befürchte, dass ein Unvereinbarkeitsbeschluss einer Partei höher wiegt als das Land Thüringen.