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Schwarz-rot legt Koalitionsvertrag vor : Aufbruch in turbulenten Zeiten

Nach der Verständigung auf einen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD könnte die Kanzlerwahl im Bundestag nun in der Woche ab dem 5. Mai stattfinden.

11.04.2025
True 2025-04-11T15:15:39.7200Z
5 Min

Das Paul-Löbe-Haus war gerammelt voll, die Stimmung fast schon ausgelassen, als die Parteichefs von CDU, CSU und SPD am Mittwoch im Bundestag vor die Presse traten, um den Koalitionsvertrag zu präsentieren. Es wurde gejohlt und geklatscht, insbesondere während der launigen Rede von CSU-Chef Markus Söder, der in seiner typisch schnoddrigen Art zu dem 146 Seiten starken Koalitionspapier mit dem Titel "Verantwortung für Deutschland" knapp feststellte: "Das passt schon."

Foto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

Volles Haus bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags: Mit großer Spannung verfolgten die Zuschauer im Paul-Löbe-Haus die Erläuterungen der vier Parteichefs.

Die vier Parteichefs Friedrich Merz (CDU), Söder (CSU), Lars Klingbeil und Saskia Esken (beide SPD) wirkten erleichtert, nach vier Wochen intensiver Verhandlungen ein Ergebnis vorlegen zu können. Die Parteichefs lächelten und sparten nicht mit gegenseitigem Lob. Klingbeil sagte: "Es ist Vertrauen gewachsen." In den Tagen zuvor hatte die sogenannte 19er Runde mit den Parteichefs in wechselnden Besetzungen und teilweise langen Sitzungen über schwierige Punkte verhandelt. Die Einigung kam letztlich sogar etwas früher als gedacht.

Vermutlich hat die Zuspitzung des von den USA ausgehenden globalen Zollkonflikts in dieser Woche zur Beschleunigung der Gespräche beigetragen. Auf dem internationalen Parkett hoffen die verantwortlichen Politiker, dass Deutschland sich möglichst schnell mit einer neuen Bundesregierung substanziell an der Problemlösung beteiligt.

Die Erwartungen an einen großen Wurf waren enorm

Die künftigen Koalitionäre standen unter Zeitdruck, die Erwartungen an einen großen Wurf waren enorm. Für Merz steht sogar noch mehr auf dem Spiel: An der Parteibasis rumort es, ihm wird mit Blick auf die Lockerung der Schuldenbremse und das Sondervermögen "Wahlbetrug" vorgeworfen. Die Junge Union trat in dieser Woche ungewohnt rebellisch auf und drohte, den Koalitionsvertrag abzulehnen, sollte der versprochene Politikwechsel ausbleiben. Dass die AfD in Umfragen zur Union aufgeschlossen hat, sorgt bei den Christdemokraten zusätzlich für Unbehagen.

Anders als während der Beratungen der 16 Facharbeitsgruppen hielten sich in der zweiten Phase der Verhandlungen die Teilnehmer in den zurückliegenden zwei Wochen an die vereinbarte Vertraulichkeit. Umso größer war die Spannung, auf was sich die Unterhändler verständigt haben könnten.


Friedrich Merz (CDU) im Portrait.
Foto: Tobias Koch
„Hinter uns liegt ein hartes Stück Arbeit, aber vor uns liegt ein starker Plan.“
CDU-Chef Friedrich Merz

Nicht alle Geheimnisse wurden gelüftet. Der Koalitionsvertrag beinhaltet zwar bereits eine Aufteilung der Ministerien auf die drei Parteien, aber noch keine Personalien. Klingbeil wies darauf hin, dass die Entscheidung darüber, wer Minister oder Ministerin wird, erst nach dem Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag getroffen und verkündet werden solle. Fest steht, dass die SPD sieben Ministerien bekommt, die CDU sechs plus Kanzleramtsminister und die CSU drei.

Die SPD soll die Ministerien für Finanzen, Justiz und Verbraucherschutz, Arbeit und Soziales, Verteidigung, Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen bekommen. An die CDU gehen die Ressorts Wirtschaft und Energie, das Auswärtige Amt, Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Gesundheit, Verkehr sowie das neue Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Die CSU übernimmt das Innenressort, Forschung, Technologie und Raumfahrt sowie Ernährung, Landwirtschaft und Heimat.

Deutschland soll reformiert und modernisiert werden

Die Parteichefs sprachen bei der Vorstellung der Koalitionspapiers von einem Aufbruchsignal in schwierigen wirtschaftlichen und politischen Zeiten. Sie versprachen, Deutschland zu reformieren und zu modernisieren und dabei das Wohl der Bürger im Blick zu haben. Merz sagte: "Hinter uns liegt ein hartes Stück Arbeit, aber vor uns liegt ein starker Plan, mit dem wir unser Land gemeinsam wieder nach vorne bringen können." Deutschland bekomme eine "handlungsfähige und handlungsstarke Regierung".

Die neue Bundesregierung werde reformieren und investieren. Europa könne sich dabei auf Deutschland verlassen. Der Koalitionsvertrag beinhalte Instrumente zur Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, Investitionsanreize und Steuersenkungen. Laut Merz ist auch ein neuer Kurs in der Migrationspolitik vorgesehen. Das Ziel sei, besser zu ordnen und zu steuern und die irreguläre Migration zu beenden.

Beschlüsse aus dem schwarz-roten Koalitionsvertrag

📉 Zur Entlastung von Firmen sollen Abschreibungsregeln angepasst werden. Ab 2028 soll die Körperschaftsteuer schrittweise sinken. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird abgeschafft. Die Stromsteuer und die Netzentgelte werden reduziert, ein Industriestrompreis wird eingeführt.

👨‍👩‍👧‍👦 Das Rentenniveau von 48 Prozent soll bis 2031 gesetzlich festgeschrieben werden. Die Mütterrente soll mit drei Rentenpunkten für alle gelten. Das Bürgergeld wird mit verschärften Regeln zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende umgestaltet.

👥 Anreize, in die Sozialsysteme einzuwandern, sollen reduziert werden. Migration soll geordnet und gesteuert und die irreguläre Migration zurückgedrängt werden. Ein Ziel ist die Begrenzung der Migration. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wird ausgesetzt. Es soll Grenzkontrollen sowie Zurückweisungen auch bei Asylgesuchen geben. Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet.



SPD-Chef Klingbeil sagte, es gehe darum, Brücken zu bauen und eine stabile Regierung zu bilden. Das zusätzliche Geld durch das Sondervermögen müsse sinnvoll für die Modernisierung der Infrastruktur eingesetzt werden. Er betonte: "Die Bagger müssen arbeiten, und die Fax-Geräte müssen entsorgt werden." Familien würden in den Mittelpunkt gerückt und auch die Rechte von Bürgern mit Migrationsgeschichte geschützt. "Wir ordnen und steuern Migration mit klaren Regeln." Klingbeil sagte: "Die Ausgangslage war schwierig, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen."

CSU-Chef Söder versicherte: "Diese Koalition ist keine, die belehrt oder erzieht." Er räumte ein, dass die Verhandlungen schwierig gewesen seien. "Das war schon ein dickes Brett, das es zu bohren galt." Der Aufwand habe sich aber gelohnt. Der Koalitionsvertrag sei die Antwort auf die Probleme der Zeit. "Jeder Satz ist Politik pur." In der Migrationspolitik sei ein Richtungswechsel gelungen. Von einer Liebesheirat der Koalitionäre wollte Söder freilich nicht sprechen. "Liebe vergeht, Hektar besteht."

Auch der Finanzierungsvorbehalt steht im Koalitionsvertrag

Die SPD-Co-Vorsitzende Esken sagte: "Wir haben gründlich und hart verhandelt." Ein Ziel habe darin bestanden, eine wirtschaftliche Dynamik zu entfachen, die auch den Beschäftigten und ihren Familien zugute komme. Zudem wolle das Regierungsbündnis dafür sorgen, dass Wohnen wieder bezahlbar werde. Die Stabilisierung des Rentenniveaus solle Sicherheit vermitteln. Das Deutschlandticket werde fortgesetzt.

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Der Sparzwang ist mit dem Sondervermögen geblieben. Im Koalitionspapier ist vermerkt: “Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.”

Noch ist die Regierungsbildung nicht vollbracht. Der Koalitionsvertrag muss von den Parteigremien gebilligt werden. Bei der CDU entscheidet ein kleiner Parteitag, bei der CSU hat die Parteispitze schon zugestimmt, die SPD plant einen Mitgliederentscheid. Die Kanzlerwahl könnte dem Vernehmen nach in der Woche ab dem 5. Mai anstehen.

Die Opposition ließ kein gutes Haar an dem Koalitionspapier. Die AfD beklagte, die Migrationswende werde zu den Akten gelegt. Die Grünen rügten, die Koalition habe auf keine der großen Krisen eine Antwort. Und auch die Linke kam zu dem Schluss, SPD und Union fehlten "echter Gestaltungswille und der Mut für echte Verbesserungen".

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