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Bundestagspräsidentin Bärbel Bas : "Das Parlament ist kein Abnickverein"

Corona, Ukrainekrieg, Hamas-Terror und Antisemitismus: Die scheidende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas über eine unruhige Wahlperiode und selbstbewusste Abgeordnete.

14.03.2025
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6 Min

Frau Präsidentin, in der kommenden Woche entscheidet der bisherige, amtierende Bundestag über eine Grundgesetzänderung. Es gibt viel Kritik an dem Vorgehen, das Bundesverfassungsgericht wurde eingeschaltet. Haben Sie Verständnis für die Kritik daran, dass nach der Bundestagswahl der bisherige Bundestag noch einmal zusammentritt?

Bärbel Bas: Es ist parlamentarisch ungewöhnlich, aber regulär, denn der aktuelle Bundestag bleibt bis zur konstituierenden Sitzung voll handlungsfähig. 1976 ist das Grundgesetz bewusst so geändert worden, damit es keine parlamentslose Zeit gibt. Im Übrigen ist es bislang viermal vorgekommen, dass nach einer Bundestagswahl der Bundestag zusammenkam. Zweimal ging es dabei um einen Bundeswehreinsatz, also sehr bedeutende Entscheidungen. Hinzu kommt: Als Präsidentin kann ich nicht zur konstituierenden Sitzung eines neuen Bundestages einladen, bevor nicht wenigstens die Mitteilung über das amtliche Endergebnis der Bundeswahlleiterin vorliegt. Das ist neben weiteren Punkten, die zu berücksichtigen sind, quasi die Grundvoraussetzung.

Welche Handhabe hatten Sie denn beim Verlangen von CDU/CSU und SPD auf Einberufung?

Bärbel Bas: Artikel 39 des Grundgesetzes ist eindeutig: Wenn ein Drittel der Abgeordneten eine Sitzung verlangen, dann bin ich dazu verpflichtet, eine solche einzuberufen. Und dieses Einberufungsrecht gilt uneingeschränkt für den aktuellen Bundestag.

Foto: DBT/Henning Schacht

Hätte gerne weiter gemacht: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Als direkt gewählte Abgeordnete ist sie für ihren Duisburger Wahlkreis im 21. Bundestag vertreten.

Bei Ihrer Wahl vor vier Jahren haben Sie unter Bezug auf die erste Bundestagspräsidentin Annemarie Renger von einer "Zeitenwende" gesprochen. Kanzler Olaf Scholz scheint sich das notiert zu haben. Ist "Zeitenwende" der Begriff, der diese 20. Wahlperiode treffend beschreibt?

Bärbel Bas: In meiner Rede habe ich das damals auch gesagt, weil ich wusste, wie der neue Bundestag aussieht: diverser, vielfältiger und jünger. Für das Parlament bedeutete das eine erhebliche Veränderung. Und ja, die Zeiten sind jetzt andere: Wenn ich zurückblicke auf das, was ich selbst erlebt habe in diesen dreieinhalb Jahren, dann kommt da eine Menge zusammen.

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Womit fing es an?

Bärbel Bas: Begonnen hat es am 13. Februar 2022 mit einer Bundesversammlung, die unter Coronabedingungen zu organisieren war - mit Testregime und Abstandsgebot. Um die Vorgaben bei 1472 Delegierten einhalten zu können, fand die Wahl erstmals im Paul-Löbe-Haus statt. Danach habe ich tief durchgeatmet und geglaubt, das Gröbste überstanden zu haben...

...aber kaum zwei Wochen später, am 24. Februar überfiel Russland die Ukraine.

Bärbel Bas: Für den Sonntag danach habe ich direkt eine Sondersitzung einberufen. Ein bis dahin einmaliger Vorgang, weil das Parlament zuvor nie an einem Sonntag zusammengetreten ist. Am 8. Mai bin ich dann als erste hochrangige Vertreterin Deutschlands in die Ukraine gereist. Es waren schon sehr außergewöhnliche und für alle Beteiligten fordernde Zeiten.

Fordernd war auch der zunehmende Antisemitismus in Deutschland. Ihnen lag immer viel an einem guten Verhältnis zu Israel.

Bärbel Bas: Ja, deshalb habe ich zu unserer Gedenkstunde zum 27. Januar 2022 Mickey Levy als Redner eingeladen, als ersten Präsidenten der Knesset überhaupt. Sehr prägend und eine Ehre war für mich mein Gegenbesuch in Israel, wo ich als erste Repräsentantin eines deutschen Verfassungsorgans bei den Gedenkzeremonien zum Yom HaShoah in der Knesset zu Gast sein durfte. Und nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war ich auf Einladung des Bundespräsidenten gemeinsam mit ihm in Israel und konnte mir im Kibbuz Kfar Azza ein Bild von den Folgen dieses barbarischen Angriffs machen.

Foto: photothek
Bärbel Bas
ist 1968 in Duisburg geboren und ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 26. Oktober 2021 ist sie dessen Präsidentin und repräsentiert damit das einzige unmittelbar vom Volk gewählte Verfassungsorgan der Bundesrepublik. Protokollarisch ist das Amt nach dem des Bundespräsidenten das zweithöchste im Staat - vor dem des Bundeskanzlers, des Bundesratspräsidenten und des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.
Foto: photothek

In Deutschland wollen einige heute vom Holocaust nichts mehr wissen. Bleibt Deutschland für Jüdinnen und Juden ein sicherer Ort?

Bärbel Bas: Das ist mein großer Wunsch, und das müssen wir alle zusammen sicherstellen. Aber ich kann die Realität nicht ausblenden. Wir haben in dieser Legislatur einiges auf den Weg gebracht, um mehr Sicherheit zu schaffen. Und wir haben mit den Gedenkstunden im Bundestag und den Jugendbegegnungen ein Zeichen gesetzt für Mitmenschlichkeit und Toleranz. Und nach langen Debatten haben wir endlich die Resolution gegen Antisemitismus verabschiedet. Wir müssen sie mit Leben füllen, mit Maßnahmen unterfüttern. Wenn uns das gelingt, bin ich mir sicher, dass Deutschland ein sicheres Land für Jüdinnen und Juden bleibt. Ich würde gern mit voller Überzeugung "ja" sagen können, wenn ein jüdischer Vater mich fragt, ob seine Kinder hier sicher sind.

Sie haben Ihre frühe Reise in die Ukraine schon angesprochen: Sie haben auch danach immer wieder Ruslan Stefantschuk getroffen, den ukrainischen Parlamentspräsidenten. Wie wichtig war für Sie diese Reise und der Austausch auf Parlamentsebene?

Bärbel Bas: Es gab damals eine heftige innerdeutsche Debatte und Vorwürfe, Deutschland leiste zu wenig und tue nicht das Richtige. Die Stimmung war aufgeregt, und ich bin mit einem unguten Gefühl in die Ukraine gefahren. Ich wusste nicht, wie die Menschen dort in dieser Situation auf mich als Repräsentantin des deutschen Staates reagieren würden. Doch dann war es sehr herzlich, man hat uns viel Dank entgegengebracht, auch Präsident Selenskyj. Ich möchte es mal so sagen: Unsere beiden Parlamente haben geholfen, die Türen für alle anderen zu öffnen. Wir haben das Eis gebrochen.

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Die abgelaufene Wahlperiode erschien hin und wieder parlamentarisch etwas chaotisch. Teilen Sie diesen Eindruck?

Bärbel Bas: Chaotisch würde ich nicht sagen, aber es war schon eine unruhige Zeit. Ich wünsche meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin eine gute Hand, denn machen wir uns nichts vor: Es wird nicht einfacher. Mit den neuen Mehrheitsverhältnissen wird die Leitung der Plenardebatten nochmal herausfordernder, insbesondere was die Sprache und den Umgang untereinander angeht.

Ich bin seit 2009 im Bundestag. Wir haben uns damals im Plenum auch gestritten, aber sachlicher. Jetzt wird geschimpft, diffamiert, der politische Gegner persönlich angegangen, da nehme ich keine Seite aus. Das Klima ist sehr viel ruppiger geworden, auch auf den Fluren. Ein gemeinsames Feierabendbier fällt heute meistens aus.

Sie beschreiben das Miteinander, aber auch die parlamentarischen Verfahren liefen nicht immer reibungslos. Bei der Beratung des Heizungsgesetzes hat am Ende das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag untersagt, eine bereits angesetzte Abstimmung über das Gesetz durchzuführen. Das Parlament war plötzlich nicht mehr Herr seines Verfahrens. War das richtig?

Bärbel Bas: Davor habe ich gewarnt und auch einen "Blauen Brief" an die Regierung geschickt. Das war im März 2023. In der Pandemiezeit hatten wir sehr viel sehr schnell umgesetzt, Verfahren wurden abgekürzt und einiges beschleunigt. Es gab damals nach meinem Eindruck so ein Denken nach dem Motto: Das können wir jetzt immer so machen. Dem bin ich entschieden entgegengetreten. Das Parlament ist kein "Abnickverein". Wir sind selbstbewusste Abgeordnete, die jeden Gesetzentwurf kritisch prüfen und ändern, wo es nötig ist. Am Ende empfinde ich den Vorgang rückblickend als heilsame Mahnung und Warnung an alle, ob hier im Hause oder in der Bundesregierung, für ordentliche Verfahren und Beratungen Sorge zu tragen.


„Die Sitzung im Plenum zu leiten, im Herzen der Demokratie. Das ist eine große Ehre und macht mir sehr viel Freude.“
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD)

An der Spitze des Hohen Hauses werden Sie nicht mehr wirken, hätten Sie ihr Amt gerne weiter ausgeübt?

Bärbel Bas: Ich hätte das sehr gerne weiter gemacht. Oft werde ich gefragt, was ich am liebsten daran mag: Bei allen vielfältigen Aufgaben als Bundestagspräsidentin: Die Sitzung im Plenum zu leiten, im Herzen der Demokratie. Das ist eine große Ehre und macht mir sehr viel Freude.

Über ein Thema müssen wir noch sprechen: Ihr Ziel war eine stärkere Parität im Bundestag. Davon ist das neue Parlament weiter entfernt als zuvor. Woran liegt das?

Bärbel Bas: Das Wahlrecht ist ein Grund. Leider ist es im Zuge der Wahlrechtsreform nicht gelungen, das Thema Parität zu regeln. Auch die Parteien müssen mehr tun, durch Quotenregelungen oder das Reißschlussverfahren bei allen Wahllisten.

Und gerade in den Wahlkreisen mit deutlichen Mehrheitsverhältnissen ist es für Frauen besonders schwer, in den Nominierungsverfahren an den "Platzhirschen" vorbeizukommen. Ein weiteres Problem ist: Wir verlieren auf allen Ebenen der Politik viele Frauen, die sich sagen: Das tu ich mir nicht an - die sexistischen Angriffe, die Anfeindungen, der Hass, die Hetze. Das ist bedrohlich für unsere Demokratie.

Nach dem Amt des Bundestagspräsidenten hat bislang niemand wieder eine Führungsrolle in einer Partei oder der Regierung übernommen. Wird es Zeit für eine Premiere?

Bärbel Bas: Frauen müssen sichtbar sein, in allen Funktionen des Staates, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft. Ich hatte jetzt ein schönes Amt und nun schauen wir mal, wie es weitergeht. Und als direkt gewählte Abgeordnete bin ich für meinen Duisburger Wahlkreis ja weiter im Bundestag.

Werden Sie Ihrem Nachfolger, Ihrer Nachfolgerin eine Nachricht auf dem Schreibtisch hinterlassen - oder wie läuft so eine Amtsübergabe ab?

Bärbel Bas: Mit Wolfgang Schäuble hatte ich bei meiner Amtsübernahme ein Gespräch - und das würde ich auch anbieten. Dieses Haus hat viele professionelle Kolleginnen und Kollegen und eine starke Verwaltung mit vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Mein Rat lautet also: Auch wenn am Ende Sie als Präsidentin oder Präsident entscheiden: Hören Sie aufs Haus, zumindest meistens.

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